Wertvoller als mein König

Mia und Camila lernen sich bei einem Schachturnier kennen. Mia nimmt dort nur teil, um etwas Zeit mit einer Freundin verbringen und um Sightseeing in Paris machen zu können. They ist nicht unbedingt begeistert von Schach. Im Gegensatz dazu ist Camila tief in der Theorie drin und zeigt diese Mia voller Begeisterung.

Camila kommt gerade aus einer komplizierten Beziehung, während Mia einen ganzen Sack voll schlechter Erfahrungen aus früheren Beziehungen mit sich trägt. Wenn die beiden Zeit miteinander verbringen, merken sie aber, dass sie sich so viel besser fühlen. Zeit allein zu verbringen, fühlt sich nicht mehr richtig an, wenn sie auch Zeit miteinander verbringen können. 

Während die beiden sich kennenlernen, wohnt Camila unter anderem noch mit ihrer Ex zusammen, die Mia als Problem ansieht. Wie gehen die beiden die aktuelle Situation an und wie gehen sie mit der Vergangenheit um? Auf ihrem Weg helfen sie einander sogar, neue queere Seiten von sich selbst kennenzulernen. In dem Text „Wertvoller als mein König“ begleiten wir Mia in dieser besonderen Situation.


Dieses Schreibprojekt ist aktuell ein „Work in Progress“-Projekt. Es gibt die Möglichkeit, über ein Ko-Fi-Abo („Unveröffentlichte Vorschau“) neben anderen Texten auch eine Vorschau zu den ersten Teilen des Projektes „Wertvoller als mein König“ zu bekommen: https://ko-fi.com/josefine0200.

Wenn ihr Interesse an dem Projekt habt, lasst mich dies gerne wissen. Ihr erreicht mich über home@josefine-quell.de.

Die Hintergründe zum Buch über Aromantik und Asexualität – ein Interview anlässlich der zweiten Auflage

Vor knapp einem Jahr hatte ich eine Rezension über das Buch „(Un)sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ geschrieben. In diesem Jahr geht es nun um eine zweite Auflage des Buches. Zu diesem Anlass habe ich nun mit Katha und Anni, die das Buch geschrieben haben, ein Interview geführt.

In dem Buch geht es, wie der Titel schon sagt, um verschiedene Perspektiven auf Aromantik und Asexualität. Grundlagen werden aufgearbeitet, historische Kontexte werden dargestellt, andere queere Label werden erklärt und einige aro und ace Personen kommen zu Wort. Die Inhalte bringen einen zum Nachdenken und sind großartig, wenn man nochmal die eigenen Label hinterfragen oder Hintergründe zu Aromantik und Asexualität besser verstehen möchte.

Im Interview haben wir über Aromantik und Asexualität, über Hintergründe zum Buch und über das Dasein als Schreibende gesprochen.


Jo: Euer Buch hatte gerade einjähriges Jubiläum und wie ich hörte könnte es eine zweite Auflage geben. Wie fühlt sich das für euch an?
Katha
: Um ehrlich zu sein: ziemlich irreal! Aber auch sehr toll. Mein Anliegen war es, zusammen mit Anni ein Buch zu produzieren, das Menschen nicht enttäuscht, das sie vielleicht sogar so hilfreich finden, dass sie es weiterempfehlen. Ich hoffe, dass die zweite Auflage ein Hinweis darauf ist, dass wir eine Ressource geschaffen haben, die von den aro und ace Communities als hilfreich, informierend und vielleicht auch empowernd wahrgenommen wird und die auch allo Personen erreicht. Außerdem hoffe ich, dass die Notwendigkeit einer zweiten Auflage ein Zeichen dafür ist, dass zumindest in Teilen der Gesellschaft ein Bedürfnis danach besteht, mehr über Aromantik und Asexualität zu lernen.

Anni: Es fühlt sich ziemlich surreal an, wenn ich lang genug darüber nachdenke. Ansonsten überraschend unspektakulär – aber zeitgleich auch total seltsam und toll? Es ist schwer zu beschreiben, aber ich bin eh nicht sonderlich gut darin, meine Gefühle zu benennen. Weil wir für die zweite Auflage das Buch nochmal überarbeiten wollten, habe ich es neulich selbst nochmal gelesen, das war wild. Ich habe so viel gelernt! Das war auch total schön.

Jo: Ihr seid in einem Twitter-Thread darauf eingegangen, wie es zu dem Buch kam. Unter anderem nennt ihr den Frust, dass keine vergleichbaren Bücher auf Deutsch zum Thema existierten. Sind euch bei der Recherche noch andere Themen aufgefallen, bei denen es ähnlich ist? Zu welchen verwandten Themen bräuchte es nach eurer Meinung noch mehr Recherchen und noch mehr Literatur?

Anni: Ich stelle immer mal wieder fest, dass es große Gemeinsamkeiten im Umgang zwischen Aromantik, Asexualität und Nichtbinarität gibt. Das liegt jetzt vielleicht an mir, aber da ging mein erster Gedanke hin. Mir fallen zwar mittlerweile eine Handvoll Bücher oder andere Sachtexte zum Thema Nichtbinarität ein, aber insgesamt zu wenige. Und während es zu Asexualität mittlerweile, vor allem auf englisch, immer mehr Bücher und andere Texte gibt, hängt Aromantik da noch ziemlich hinterher (wobei das natürlich auch exakt unser Thema ist, aber es bot sich an, das nochmal zu erwähnen).

Katha: Ich bin gierig und würde diese Frage gerne mit „All of the things!“ beantworten. Wenn ich mir ein ganz konkretes Beispiel rauspicke, würde ich die Intersektion von Asexualität, Behinderung und Desexualisierung nennen. Das ist selbstverständlich ein großes Thema mit noch größerer Nuance – ich glaube aber, dass es an dieser Kreuzung ungemein viel Positives, Bestärkendes zu entdecken gibt und die jeweiligen Communities besser daran täten, asexuelle behinderte und/oder neurodivergente Personen zu unterstützen und von ihnen zu lernen.

Jo: Was hat euch beim Schreibprozess am meisten Spaß gemacht?
Anni
: Ich habe mich immer total gefreut, wenn sich durch unsere Recherche für mich etwas auf einmal ergeben hat oder wenn ich für mich ein neues Wort gelernt habe, mit dem ich meine eigenen Erfahrungen beschreiben konnte. Ein Beispiel dafür ist Singlism. Und es hat natürlich Spaß gemacht, wenn wir uns mit schönen Dingen befassen konnten, zum Beispiel als wir von Emma Trosse erfahren haben. Total spannend fand ich für mich persönlich auch die Recherche zur Geschichte der Romantik, zu Polyamorie und zu verschiedenen Anziehungsformen, weil mir das alles nochmal ganz neue Blickwinkel auf mich selbst eröffnet hat.

Katha: Hmm. Für mich ist es zum Einen das viele Lernen durch intensive Recherche, bei der ich so viele Zusammenhänge zum ersten Mal verstanden habe, das nächtelange Durch-historische- Quellen-Gestöber auf der Suche nach Hinweisen auf Asexualität und ihre Konzeptualisierung im letzten und vorletzten Jahrhundert. Zum Anderen auf jeden Fall die enge Zusammenarbeit mit Anni! Wir haben fast täglich telefoniert und den Text wirklich gemeinsam geschrieben – da blieb ein gegenseitiges Rösten für Typos und ungünstige Formulierungen nicht aus. (Mein Favorit: überweltigt statt überwältigt.)

Jo: Was war beim Schreibprozess am schwierigsten für euch?
Katha
: In erster Linie mein Perfektionismus und das Bedürfnis, Sachverhalte so klar und offen wie möglich zu formulieren – für mich hat sich jedes einzelne Wort unglaublich wichtig angefühlt, ich musste für jede Formulierung alle möglichen Konnotationen und Verständnisse durchgehen, bevor ich sie in Ruhe lassen konnte. Das hat den Arbeitsprozess selbstverständlich sehr in die Länge gezogen, gleichzeitig hoffe ich, dass das Endprodukt unsere Bedachtsamkeit und Bewusstsein für Sprache zumindest ein wenig reflektiert.
Anni: Kurze Sätze! Und der gesamte Diskriminierungs-Teil, vor allem das Pathologisierungs- Kapitel, weil wir selbst viele dieser Erfahrungen auch kennen und durchlebt haben und manchmal während des Schreibprozesses durchlebt haben. Das dann so auseinanderzunehmen und möglichst sachlich darzulegen und verständlich zu machen, war nicht immer einfach.

Jo: Ihr wart beim Schreibprozess als Duo aktiv und führt auch eure Social Media Accounts zu zweit. Wie würdet ihr eure Zusammenarbeit beschreiben? Wie schafft ihr es so lange so gut zusammenarbeiten zu können?
Anni
: Das ist eine verdammt gute Frage! Ich glaube, dass sich unsere Arten und Weisen einfach zufällig recht harmonisch ergänzen, da hatten wir echt Glück. Wir waren aber auch von Anfang an sehr professionell miteinander – also, freundlich und auch mal lustig oder persönlich (gerade das Persönliche und Private bleibt bei der Thematik ja irgendwie nicht aus), aber ich glaube, wir hatten auch immer im Hinterkopf, dass wir ein Team sind, und hatten das gemeinsame Ziel vor Augen. Wir haben immer ganz, ganz viel über alles mögliche geredet und sind mittlerweile auch gut befreundet, würde ich sagen, aber unsere Beziehung wirkt auf mich immer noch irgendwie sehr professionell – im besten Sinne des Wortes, also rücksichtsvoll, offen und ehrlich, wir wissen auch, dass wir miteinander sehr kritisch sein dürfen und können, wir achten gegenseitig auf unsere Grenzen. Wir ergänzen uns auch irgendwie sehr gut und wenn eine Person keine Zeit oder Energie oder Ideen hat, hat die andere vielleicht gerade etwas mehr.

Katha: Ich glaube, unsere Zusammenarbeit funktioniert deshalb so gut, weil wir mehr als nur Freunde sind. (Haha, ich warte schon so lange auf eine Gelegenheit für diesen schlimmen Witz D: Ich bitte um Entschuldigung.) Wir haben uns über die Zusammenarbeit kennengelernt und sind dann Freund_innen geworden – wir sind auf vielen verschiedenen Ebenen Partners in Crime. Das hat es einfacher gemacht, auch mal zu kommunizieren, wenn wir nicht so begeistert von einer Idee waren wie die andere Person. (Außerdem ist Anni einfach unglaublich nett und lieb und geduldig und lustig und hilfsbereit und unterstützend und insgesamt toll.)

Jo: Eine rein theoretische Frage: Wie würdet ihr Elternteilen den Begriff „Kink“ erklären? Anni: Hehehehehehe, Katha, willst du? *rüberzwinker* So ganz ohne Vorbereitung hätte ich wirklich keine Ahnung; ich glaube, ich würde auf Beispiele zurückgreifen mit dem Ziel, die Vielseitigkeit von Kink aufzuzeigen.

Katha: Ahhhrgh, ich war dem doch so schön entronnen! Wir werden es wohl in der zweiten Auflage rausfinden 😉

Jo: Die Themen Aromantik und Asexualität haben je nachdem mit wem man spricht ganz unterschiedliche Formen. Was denkt ihr ist ein wichtiger Aspekt dabei damit umzugehen, wenn man mit diesen Themen arbeitet?
Anni
: Ich empfinde es als hilfreich, wenn am Anfang klar gemacht wird, mit welchem oder welchen Verständnissen eins arbeitet. Ich glaube, das habe ich total aus dem Studium übernommen: erstmal Begriffe definieren, zumindest als Arbeitsdefinition, danach kann’s weitergehen. Aber es ist halt auch ein Unterschied, ob ich zum Beispiel sage: „Für mich bedeutet aroace-Sein, dass ich keinerlei romantische oder sexuelle Anziehung empfinde und dass ich mit Romantik als Konzept überhaupt nichts anfangen kann“ oder ob ich behaupte, dass das die geläufige Definition davon sei und alle anderen Verständnisse einfach ignoriere oder ausblende. Die Vielfältigkeit von Aromantik und Asexualität mitzudenken (und sich nicht nur darauf berufen, dass eins am Anfang mal darauf verwiesen hat, dass das ein Spektrum ist, aber nicht weiter darauf eingeht, was das bedeutet) ist glaube ich ein ganz furchtbar wichtiger Aspekt.

Katha: Ich denke, es ist wichtig, darüber zu kommunizieren, welche Verständnisse es von diesen Orientierungen gibt und dass es keine ‚falsche‘ Art gibt, aromantisch und/oder asexuell zu sein. Wenn es um Aufklärungsarbeit geht, legen wir beiden sehr viel Wert darauf, nicht nur unsere Perspektive und unser Erleben vorzustellen, sondern viel eher zu vermitteln, dass es unendlich viele verschiedene Wege gibt, aromantisch / asexuell zu sein, dies zu definieren und zu fühlen und dass dies auch gut so ist!


An dieser Stelle möchte ich mich nochmal bei den beiden für das großartige Interview bedanken!

Buchcover Annika Baumgart, Katharina Kroschel, (Un)sichtbar gemacht), Perspektiven auf Aromantik und Asexualität, Edition Assemblage. Das Cover hat einen grün, grün/grau, lila, weiß, lila, grün/grau, weiß, grünen Hintergrund, in dem die Farben ineinander verschwimmen. Die Farbwechsel passieren von oben links nach unten rechts.
Buchcover „(Un)sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“

Solltet ihr Interesse an dem Buch bekommen haben, geht es hier zur Verlagsseite des Buches. Es ist auch möglich, Katha und Anni über Social Media zu folgen:

@ace_arovolution (Twitter)

@ace_arovolution (Instagram)

Oder per E-Mail zu kontaktieren: ace_arovolution@web.de

Mehr Links und Infos gibt’s auch noch auf folgender Website von den beiden: https://acearovolution.webnode.page/kontakt/


Autoreferentialität, das Werk „Das Lächeln der Frauen“ und Fernando Pessoa

Buch mit Seiten gelegt wie ein Herz und mit einer Rose
Bild von Jess Bailey auf Pixabay

Das Werk „Das Lächeln der Frauen“

Ein Buch, dessen Cover einen Bezug zu Paris hat und von dem ein rotes Detail einem ins Auge fällt – so war ich damals auf die Bücher aufmerksam geworden, die unter dem Namen Nicolas Barreau veröffentlicht wurden. Auf den ersten Blick geht es bei „Das Lächeln der Frauen“ um eine Liebesgeschichte, die in Paris spielt. Mir würde wahrscheinlich kein klischeebehafteteres Setting für eine Liebesgeschichte einfallen.  

Beim Lesen hatte ich Glück. Das Thema war tatsächlich interessant für mich. Wenn man auf den Buchrücken sieht, ist dort beschrieben, dass das Buch davon handele, wie die Protagonistin in einen Buchladen geht und dort einen Roman findet, der sie so fesselt, dass sie den Autoren unbedingt kennenlernen möchte. 

Autoreferentialität – sich auf sich selbst beziehen

Hier fängt direkt ein Phänomen an, das in der Literatur gar nicht mal so selten zu beobachten ist. Schreibenden wird oft der Rat gegeben, über Dinge zu schreiben, die die Schreibenden bereits sehr gut aus ihrem Leben kennen. Und was kennen Schreibende besonders gut? Bücher! Bücher, Geschichten, Buchhandlungen, das sind meistens die Dinge, in deren Nähe Autor*innen häufig aufzufinden sind. Es wundert also nicht, wenn Schreibende über Bücher schreiben. Wenn sich Texte auf Texte oder den Entstehungsprozess von Texten beziehen, wird dies Autoreferentialität genannt. Das Phänomen heißt so, weil sich Texte damit auf sich selbst beziehen (und „auto“ ein anderes Wort für „selbst“ und „referentiell“ ein anderes Wort für „bezogen“ ist > „die auf sich selbst Bezogenheit“ sozusagen).

Autoreferentialität, Fernando Pessoa und Heteronyme

Fernando Pessoa hat zu dem Thema ein interessantes Gedicht geschrieben. Es heißt „Autopsicografia“ (http://arquivopessoa.net/textos/4234). Darin geht es um den Schreibprozess eines Textes und wie Schreibende „faken“. Dort befindet sich „auto“ sogar direkt im Titel. Dies ist aber nicht die einzige Parallele, die sich zwischen dem Werk „das Lächeln der Frauen“ und Fernando Pessoa ziehen lässt. Der Portugiese Fernando Pessoa ist berühmt dafür, dass er unter verschiedenen Namen geschrieben hat. Hierbei handelt es sich aber nicht um einfache Pseudonyme. Er hat sich für einen Teil der Namen, unter denen er geschrieben hat, eigene Persönlichkeiten mit eigenen Biographien überlegt. Diese Identitäten werden Heteronyme genannt. Für eine handvoll Namen gibt es einen kompletten Hintergrund als Heteronym, viele andere Namen wurden als Pseudonyme verwendet. 

Und ab ins Rabbit Hole der Recherche…

Gucken wir nun in das Werk „Das Lächeln der Frauen“, wir sind noch auf einer der Seiten, die vor dem Romanbeginn kommen. Auf einer der ersten Seiten steht „Nicolas Barreau/ Das Lächeln der Frauen/ Roman/ Aus dem Französischen von Sophie Scherer“. Dieses Detail soll später noch interessant werden. In der Autorenbiographie steht, dass Nicolas Barreau Romanistik studiert habe und in Paris in einer Buchhandlung arbeite. Ein Autor also, der in einer Buchhandlung arbeite und selbst Bücher schreibe, anscheinend sogar Bücher über Bücher. Dieses Szenario bekommt aber noch ein paar Level dazu. 

Die große Überraschung, auf die der Roman zuläuft, ist, dass der Autor, den die Protagonistin so verzweifelt sucht, gar nicht existiert. Sie wundert sich, dass der Autor so schlecht zu erreichen ist, aber dann kommt raus, dass der Lektor vom Verlag, zu dem sie Kontakt hat, eigentlich der Autor ist, dies aber versteckt halten will. Es geht also um einen Autoren, der sich eine zusätzliche Persönlichkeit ausgedacht hat, um unter diesem Namen zu schreiben. Ein weiteres Level kommt noch dazu. Erinnert ihr euch an den Namen des Autoren des Werkes? Nicolas Barreau? Und die Person, die den Text aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt haben soll, Sophie Scherer? Zufällig habe ich auch eine italienische Version von einem anderen Roman von Nicolas Barreau (auch mit einem Paris-Bild als Cover und mit einer Person in rotem Kleid). Der Titel des Buches ist „Con te fino alla fine del mondo“. In dem Buch steht, dass der Text von Nicolas Barreau geschrieben wurde und die italienische Übersetzung von Monica Pesetti stammt. Interessant ist, dass bei beiden Büchern die älteste Copyright-Angabe vom Thiele Verlag stammt. In dem deutschsprachigen Buch steht kein französischer Originaltitel und im italienischen Buch steht nur ein deutscher Originaltitel („Du findest mich am Ende der Welt“). 

Suchen wir also mal nach einer französischen Version. Die gibt es tatsächlich. Das Buch wurde auf Deutsch verfilmt und zu Film und Buch sind französische Versionen unter dem Titel „Le Sourire des femmes“ zu finden. Interessanterweise steht dort aber zum Teil noch ein zweiter Name bei: Sabine Wyckaert-Fetick. Und siehe da, bei einem der anderen Bücher von Nicolas Barreau, wo derselbe Name daneben steht (es handelt sich um das Buch „Un soir à Paris“) steht dabei, dass Sabine Wyckaert-Fetick den Text aus dem Deutschen übersetzt habe (https://www.parinfo.fr/node/22081). Auf Amazon stehen auch beide Namen bei den französischen Büchern von Nicolas Barreau dabei. In der Autorenbiographie steht dort, dass es sich bei dem Namen um ein Pseudonym handele. 

Langsam wird klar, worauf ich hinaus möchte, oder? Auf Amazon stehen auch beide Namen bei den französischen Büchern von Nicolas Barreau dabei. In der Autorenbiographie steht dort, dass es sich bei dem Namen um ein Pseudonym handele. In einem Artikel von Elmar Krekeler in der „Welt“ wird nahegelegt, dass es sich bei dem Autoren um eine ausgedachte Persönlichkeit handele und eigentlich die Lektorin Daniela Thiele das Werk auf Deutsch geschrieben habe und auch der Name Sophie Scherer nur herhalten musste, um zu verschleiern, dass das Werk nicht wirklich im Original aus dem Französischen stamme (https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article108619680/Warum-immer-mehr-Verlage-ihre-Autoren-erfinden.html).

Dazu gibt es im Magazin „BuchMarkt“ ein interessantes Interview aus 2016 mit Daniela Thiele. Sie wird nach ihrem schönsten Erfolg des Jahres gefragt. Sie antwortet, dass sie sich über die Inszenierungen von „Das Lächeln der Frauen“ auf den Bühnen in München und Wien, auch die Standorte des Thiele Verlags, gefreut hat. Danach wird sie nach der schönsten Buchhandlung gefragt. Daraufhin berichtet sie von der Livraria Bertrand in Lissabon und, dass sie dort „natürlich ein Buch von Fernando Pessoa gekauft“ habe. Guckt an. Hatten wir den nicht gerade noch besprochen? Sie selbst spricht sogar an, dass er berühmt für seine vielen Pseudonyme ist. In einer späteren Frage wird sie gefragt, welche Frage sie gerne gefragt worden wäre. Ihre Antwort: „Wer ist Nicolas Barreau?“. Und zuletzt beantwortet sie die Frage selbst mit „Keine Ahnung.“ Hier ist der Link zum gesamten Interview mit Daniela Thiele: https://buchmarkt.de/menschen/der-andere-fragebogen/wie-war-ihr-jahr-daniela-thiele/.

Das Buch, in dem es um ein Buch mit einem Lektoren, der sich einen Autoren ausgedacht hat, stammt also tatsächlich von einer Lektorin, die sich einen Autoren ausgedacht hat? Und diese Lektorin berichtet von Fernando Pessoa, der berühmt für seine Heteronyme ist und auch von Autoreferentialität fasziniert gewesen zu sein scheint und sogar ein Gedicht über das Faken beim Schreibprozess geschrieben hat. 


Würfelspiel „Neopronomen“

Fünf Würfel vor weißem Hintergrund
Zum Spielen wird ein Würfel benötigt, Würfelapps oder Ähnliches gehen aber natürlich auch!

Ich habe eine kleine Anleitung für ein Spiel erstellt mit dem die Formen von Neopronomen geübt werden können. Um die grammatischen Begriffe leichter verstehen zu können, ist der Anleitung auch eine Tabelle mit Beispielsätzen beigefügt. Für andere Sets von Neopronomen muss einfach nur das Pronomen in den Sätzen ausgewechselt werden.

Bei der Anleitung handelt es sich um eine frühe Version. Es wurden schon ein paar Probleme in der Anleitung behoben, trotzdem gibt es noch einige Möglichkeiten, die Anleitung so zu verändern, dass sie einfacher zu verwenden ist (z.B. mit mehr Beispieltabellen für andere Sets von Neopronomen).

Die nicht-binäre Geistergestalt (2021)

Meine Geistergestalt,
gleitet durch die Gesellschaft wie durch einen unbewohnten Wald,
ich bin nicht-binär,
werde nicht gesehen, weder von der Gesellschaft,
noch von Communities, die sind quer.

In vielen Köpfen existiere ich nicht,
und anderen kann ich mich nicht zeigen, damit ich nicht auffalle,
ich kann nicht geraten in mancher Leute Sicht,
und dann stehe ich doch wieder allein in der großen leeren Halle.

Es gibt Räume, in denen ich mich bewegen kann,
in denen ich spreche und gehört werde und trotzdem unsichtbar bleibe,
und doch weiß ich, dass, irgendwann,
ich werde meine Unsichtbarkeit abgeben müssen,
auch wenn das bedeutet, dass ich an der Sichtbarkeit wegen anderen leide.

Ich möchte meine sichtbare Unsichtbarkeit nutzen,
wir gehören hierher,
ob trans,
nicht-binär,
und/oder anders queer,
auch wenn wir uns gegenseitig nicht sehen,
wir sind nicht allein und müssen uns dafür auch nicht extra verdrehen.

Ich schwebe durch die Räume,
nicht ganz klar, wie viele von uns mich noch umgeben,
aber ihr könnt meine Worte lesen und ich lese eure,
und so finden wir uns irgendwann und müssen nicht allein bei der Versammlung stehen.

Ich fühle mich verloren, weil ich meine Unsichtbarkeit nicht einfach ablegen kann,
auch wenn ich sehe, dass einige von uns durch die Räume gehen, laufen, tanzen,
ich bin unheimlich dankbar, dass ich manche von euch höre, manche lese, und manche sehe.

Manchmal ist Unsichtbarkeit einsam,
manchmal ist es eine Superheld*innen-Kraft,
es kann mich schützen,
es kann mich verletzen,
egal wie sichtbar wir sind oder nicht,
ich hoffe, dass wir zusammenhalten – alle gemeinsam.

***********

Dieses Gedicht ist im Vorfeld für einen Pride March entstanden. Es hätte die Möglichkeit gegeben, Gedichte anonym vortragen zu können, aber ich habe mich nichtmal das getraut. Es hat jetzt noch fast zwei weitere Jahre gedauert bis ich es geschafft habe, den Text so öffentlich zugänglich zu machen.

Wenn ihr mich kontaktieren möchtet, erreicht ihr mich am einfachsten per E-Mail: home@josefine-quell.de

Sensitivity Reading mit Jo

Sensitivity Reading

Ich biete Sensitivity Reading für verschiedene Themen und Textarten an.

Themen: LGBTQIA+ Communities, bi Personen, asexuelle/ace Personen, nicht-binäre Personen, trans Personen, genderfluide Personen, gendersensible Sprache, Neopronomen, Queerfeminismus.

Falls Hatespeech, Gewalt, Missbrauch, Femizide oder vergleichbare Themen vorkommen, sagt mir bitte direkt bei der Anfrage Bescheid, so dass ich in der Situation entscheiden kann, ob ich damit in dem Moment arbeiten kann.

Textarten: Wissenschaftliche Texte (besonders aus der Linguistik und verwandten Geisteswissenschaften), journalistische Texte und Werbetexte, Belletristik, kreative Texte von Verlagen und Autor*innen.

Sprachen: Deutsch & Englisch. Bei Portugiesisch, Spanisch und Französisch kann ich bei der Suche nach einer passenden Person helfen.


Workshops & Vorträge

Zusätzlich biete ich auch Workshops und Vorträge für verschiedene Themen und Zielgruppen an:

Themen: Gendersensible Sprache & Neopronomen.

Zielgruppen: Forschende, Journalist*innen, Verlage, Autor*innen, Sprachlernende.

Sprachen: Deutsch & Englisch.


Anfragen

Anfragen: Schickt mir am besten eine E-Mail an: home@josefine-quell.de . Darin beschreibt ihr, ob ihr ein Sensitivity Reading, einen Vortrag oder einen Workshop von mir wünscht und um welche Themen und welche Zielgruppe oder Textart es sich handelt.

Für immer in der Flosse

Valeria kam zu mir angeschwommen, „wann wirst du es em denn erzählen?“

Ich trieb zwischen Hölzern nah am Meeresgrund und suchte gerade ein paar Algen fürs Abendessen zusammen.

„Dass em meine Gedanken nicht mehr verlässt, seitdem em mich so lieb in Empfang genommen hat, als ich die Welt über dem Wasser verlassen hab und hierhergekommen bin?“

„Zum Beispiel“, sagte Valeria und sammelte nun auch ein paar Tierchen ein. 

„Erinnerst du dich noch daran, als ich em von meiner Geschichte erzählt habe? Ems Gesicht hat gestrahlt und em hat mich in den Arm genommen und sich darüber gefreut, dass ich hier angekommen bin.“

„Das passiert dir nicht oft, oder?“, fragte Valeria und überreichte mir die Resultate der Sammlung. 

„Noch nie“, sagte ich und band alles fürs Abendessen zusammen. „Und egal, was passieren wird, diese Reaktion wird mir immer in der Flosse bleiben.“

Josefine Quell (2022)

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Merlin & Arthus

– Wie wir manchmal unterschiedliche Serien sehen, wenn es wirklich dieselbe ist

CN Cisheteronormativität Sexismus Rassismus

Das Thema für diesen Beitrag spricht etwas an, was wohl viele queere Leser*innen und Zuschauer*innen kennen. Wir sehen eine Serie, einen Film oder lesen ein Buch oder bekommen eine Geschichte über irgendeinen anderen Weg mit und haben das Gefühl, dass die Story nur so vor Queerness trieft. Dann gucken wir in Rezensionen oder in die Wikipedia-Zusammenfassung und Queerness wurde nicht in einem Wort erwähnt. Andere, queer oder nicht queer, sprechen vielleicht auch darüber, dass sie davon nichts mitbekommen haben bei der Geschichte. Meine Neurodivergenz sorgt zusätzlich noch dafür, dass ich Geschichten häufig etwas anders verarbeite. Das hat in der Schule und im Studium für mich auch schon dazu geführt, dass mir erzählt wurde, dass meine Interpretationen unlogisch seien oder etwas anderes gemeint wäre. Das ist die Schönheit daran, wenn man einen eigenen Blog hat und sich seine Interpretationen selbst zusammenschreiben kann (auch wenn das Imposter Syndrom gerade bei Interpretationen schon hart kickt). Aber zurück zum Thema: Es gibt viele Faktoren in unserem Leben, die beeinflussen, wie wir eine Geschichte verstehen. In der Literaturwissenschaft gibt es daher auch diverse Ansätze, Geschichten zu interpretieren. Es gibt feministische Lesarten, queere Lesarten, autobiographische Ansätze und vieles mehr.

Die Serie „Merlin – die neuen Abenteuer“

Nun habe ich vor einiger Zeit die Serie „Merlin – die neuen Abenteuer“ auf Netflix gesehen. Die gibt es in mehreren Sprachen, was ich ganz spannend fand. Es kommen viele Schimpfwörter vor, die man im Alltag wahrscheinlich eher selten hört. Gut, um das Schimpfwörter-Repertoire in anderen Sprachen aufzustocken! Die Serie basiert auf der Arthus-Legende. Es geht um den Zauberer Merlin und seinen König Arthus. Lancelot kommt vor, das berühmte Schwert im Stein kommt vor und viele andere Figuren und Szenen, die einem auch mit wenig Erinnerung an die Geschichten um die Arthus-Legende irgendwie bekannt vorkommen.

Ein paar Probleme der Serie

CN Rassismus, Sexismus

Beim Sehen der Serie sind mir einige Dinge aufgefallen. Zuallererst: Frauen und BIPoC scheinen keine oder nur eine geringe Rolle zu spielen und werden vermehrt für Rollen von den „Bösen“ eingesetzt. Gwen, die WoC ist, startet als Dienerin in die Serie. Sie wird häufig schlecht behandelt, bleibt aber dennoch treu und arbeitet sich hoch. Das vermittelt ein Bild, das auch mit dem Ritterzeit-Setting nicht mehr zu erklären ist. Auch an anderen Stellen bekam ich als Zuschauer*in das Gefühl, dass die Serie betonen wollte, dass Änderung nur von Innen und über Zeit möglich ist und dass zu großer Protest gegen den Status-Quo der Sache eher schaden würde. Das ist ein Weltbild, dem ich so nicht zustimmen möchte. Auch der Umgang mit Merlin, der über die längste Zeit der Serie als Diener agiert, ist nicht gut. Dies lässt sich Merlin aber gefallen. Beide, Gwen und Merlin, erklären immer wieder, dass die Dinge eben so seien und es ihre Aufgabe wäre. Aber wer davon abweicht, wird im Zweifelsfall auch von Gwen und Merlin bekämpft…

Eine heteronormative Geschichte im Vordergrund

Nun aber zur (nicht vorhandenen?) Queerness. In der Geschichte werden romantische Beziehungen nur zwischen Männern und Frauen dargestellt. Sexuelle Szenen gibt es (im kompletten Gegensatz zu z.B. Bridgerton) überhaupt nicht. Es wird offen auch nur von romantischer Liebe zwischen Frauen und Männern gesprochen. Die Beziehung zwischen Merlin und Arthus ist formal die zwischen Diener und seinem Herrn. Ab und zu sprechen Merlin und Arthus darüber, dass sie unter anderen Umständen Freunde sein könnten. Dass sie sich dennoch näherstehen als Diener und sein Herr, wird in einigen Szenen deutlich. Auch Arthus‘ Vater und Gwen sprechen mehrfach an, dass die Verbindung zwischen den beiden sehr stark zu sein scheint. Merlin erklärt dies bis zum Ende für „seine Aufgabe“. Manche Rezensionen sprechen an dieser Stelle von „brotherhood“ (Link 1). Es gibt auch eine Mentor-Mentee Beziehung zwischen Merlin und Gaius, dem Hofarzt, bei dem Merlin zu Beginn der Serie einzieht.

Eine queere Geschichte hinter dem Vorhang?

Auf einem zweiten Blick geht es um einen jungen Mann, der ein Geheimnis hat. Er kommt in eine neue Stadt, weil es zuhause auf dem Land Probleme gab, weil sein Geheimnis fast rausgekommen wäre. In der Stadt lebt er gefährlich, weil das Bekannt werden seines Geheimnisses ihm den Tod bringen würde, da darauf die Todesstrafe besteht. Er kommt bei einem Mann unter, der schon um einiges älter ist und den jungen Mann direkt durchschaut. Er erkennt sein Geheimnis sofort. Er war früher auch mal „so“, aber jetzt lebt er es nicht mehr aus. Das ist sicherer für ihn. Er bringt dem jungen Mann alles bei, was er zum Leben in der Stadt und zum Leben mit seinem Geheimnis braucht und gibt ihm Bücher zum Lesen. Eines Tages trifft der junge Mann auf einen anderen in ungefähr seinem Alter. Dieser ist arrogant, eingebildet, hält sich für den stärksten, beliebtesten und bestaussehendsten Kerl in der Gegend. Sie streiten und kämpfen. Weil der junge Mann, der neu in die Stadt kam, dem anderen aber irgendwann das Leben rettete, wird er zum Diener des anderen erklärt (als Belohnung?!), da der andere der Sohn des Königs ist. Der Diener kann dem Prinzen nicht die Wahrheit über sein Geheimnis sagen. Trotz allem beschützt er den Prinzen mit allem was er kann. Auch wenn er dafür nie Lob bekommt, da sonst sein Geheimnis rauskommen würde. Er bringt sich selbst mehrfach in Lebensgefahr für den Prinzen. Manchmal liegt er auch schweißgebadet im Bett und ruft seinen Namen (okay, das ist sehr aus dem Kontext gezogen!). Wenn der Prinz Dates hat, ist sein Diener immer dabei. Ständig sprechen Leute den Diener darauf an, dass er viel mehr tut, als was von ihm als Diener erwartet würde. Selbst seine eigene Mutter, der König, die Dates des Prinzen und alle anderen, die den beiden irgendwann über den Weg laufen. Auch der Prinz strengt sich mit der Zeit mehr an, seinen Diener am Leben und bei sich zu behalten, als es normal für Diener wäre. Auch dies wird vom König und von anderen Figuren immer wieder angesprochen.

Nun könnte das alles damit erklärt werden, dass die beiden ein hohes Pflichtbewusstsein haben. Merlin kennt einige Vorhersagen, die besagen, dass er bei Arthus bleiben muss, damit dieser später als König Veränderungen bringt. Arthus geht auch mit anderen Figuren in seinem Umfeld etwas besser um, als es andere Figuren erwarten würden. Und mit der Zeit wachsen auch Diener und Herr sich gegenseitig ans Herz, wenn sie Abenteuer miteinander erlebt haben. Und mit brotherhood lässt sich bestimmt auch einiges erklären.

Wir haben aber Szenen, in denen Merlin stöhnend und schweißgebadet im Bett liegt (ja, offiziell von einer Vergiftung) und Arthus‘ Namen ruft. Gleichzeitig sammelt Arthus für Merlin Blumen (ja, als Gegenmittel gegen die Vergiftung) und widersetzt sich damit dem König und wird dafür im Nachhinein vom König eingesperrt.

Alles was gezeigt wird, lässt sich mit einigen Sachen erklären. Aber wenn wir mit einer queeren Linse über die Geschichte gucken, merken wir, dass die Geschichte eine Menge queeres Material bietet. Während ich die Serie geguckt habe, habe ich Freunden, die die Serie nicht kannten, immer wieder Updates geschickt, was Neues extrem queeres passiert ist. Dabei habe ich die Szenen mit einer queeren Linse wiedergegeben. Wenn wir Magie als Metapher für Queerness nehmen und die Loyalität von Merlin zu Arthus unter romantischeren Gesichtspunkten sehen, entsteht eine komplette Lage neuer Interpretationen dazu, was in der Serie geschieht. Als ich halb durch die Serie durch war, habe ich mich gefragt, wann die beiden sich endlich die Liebe gestehen. Die Queerness zwischen den Zeilen war für mich so eindeutig, dass ich erwartet hatte, dass diese nicht nur zwischen den Zeilen angesprochen wird, sondern auch in den Zeilen zum Vorschein kommt. Das passierte so aber nie.

Und die Cis-Normativität?

Ich habe jetzt vor allem von Queerness im Sinne von Anzeichen für Romantik zwischen Merlin und Arthus gesprochen (und die interessante Mentoren-Dynamik mit Gaius in einem Zwischenpunkt erwähnt). Es gibt Szenen, in denen sich Merlin in eine Frau verwandelt und Kleider trägt. Es gibt auch eine Szene, in der es heißt, dass alle Männer angegriffen worden seien. Nur Gwen und Merlin sind verschont blieben. Gwen wunderte sich darüber, dass die beiden verschont geblieben waren. Merlin erklärte dies damit, dass nur Männer angegriffen worden waren. Gwen sprach an, dass Merlin aber ja auch verschont geblieben ist. Das winkte Merlin ab, weil er ihr den wahren Grund nicht nennen konnte. In der Geschichte wird dies damit erklärt, dass er wegen der Magie nicht angegriffen werden konnte. Wenn wir Magie aber mit Queerness verbinden, klingt das nach einer Szene, in der thematisiert wird, dass Merlin trans ist?

Viele mögliche Interpretationen

Von außen kann ich niemals einer Person attestieren, ob sie trans, schwul, bi, aromantisch oder genderfluid ist oder ein anderes queeres Label für die Person passt. Ob für eine Person queere Label passen und welches es sind, kann nur die Person sagen, um die es geht. Da wir bei einer Geschichte mit fiktiven Charakteren aber keine Identitäten in der Realität haben und es sich hier um Kunst handelt, die interpretiert werden darf, würde ich dieser Serie eine zweite Lage, die komplett mit Queerness gefüllt ist, attestieren. Da sexuelle Aktionen in der Serie kaum eine Rolle spielt, könnte Asexualität bei einigen Figuren eine Rolle spielen. Dies wird aber mit den üblichen Mitteln unsichtbar gemacht, zumindest, soweit ich das gesehen habe. Da keine offene romantische Anziehung zwischen Merlin und Arthus thematisiert wurde, kann es sich hier auch um einen Squish handeln oder eben wirklich einfach „um zwei sehr gute Freunde“. Dass Merlin nicht wie das Stereotyp Mann agiert, kann ihn auch einfach gender-nonconforming machen. Nicht jede Person, die den Geschlechtsstereotypen nicht entspricht, ist direkt trans.

Was machen wir daraus?

Aber diese Punkte sind eben auch das Ding, weshalb Queerness, die nur zwischen den Zeilen steht, so schwierig ist. Eine Person liest diese Interpretation vielleicht gar nicht raus. Eine andere Person argumentiert damit, dass nicht jede Person, die den Geschlechtsstereotypen nicht entspricht, trans ist. Das heißt, die Queerness, die man aus der Geschichte rauslesen kann, ist sehr instabil. Jeder Punkt lässt sich auch durch etwas anderes erklären. Queere Repräsentation braucht daher auch Geschichten, die nicht nur zwischen den Zeilen Queerness zeigen, sondern auch ganz offensichtlich ohne zweite Ebene und ohne doppelten Boden.

Wenn ich diese Serie sehe, sehe ich eine sehr queere Story. Manche Rezensionen (wie die verlinkte) zeigen mir aber auch, dass es andere Ansichten dazu gibt. Wenn ihr mögt, gebt mal „Merlin queer coding“ in eine Internetsuchmaschine ein… Die Serie existiert schon etwas länger, weshalb schon sehr viel dazu gesagt wurde. Auch die möglichen Wege, Queerness in die Geschichte zu interpretieren wurden an anderen Stellen viel intensiver besprochen. Mein Anliegen war es, diese Serie als Beispiel zu nehmen, um anzusprechen, dass es passieren kann, das zwei Personen dieselbe Geschichte hören können und zwei sehr unterschiedliche Stories davon mitnehmen.

Hier gibts eine Reddit-Diskussion darüber, ob es sich um Queerbaiting handelt: Reddit-Diskussion (Link 2). Es gibt auch Storylines, die lesbische Identitäten nahelegen. Über die lesbische Storyline haben andere schon geschrieben (Link 3). Aus meiner Sicht ist die lesbische Storyline subtiler. Es fällt auf, dass der alten Religion vor allem Frauen anhängen, die alle Magie ausüben. Es wird hier aber von der Queerness nochmal anders abgelenkt. Ein Symptom davon, dass Queerness bei Frauen eher unsichtbar gemacht wird.

Habt ihr die Serie gesehen? Wenn ja, wie habt ihr die Geschichte verstanden? Schreibt mir dazu gerne eine E-Mail an home@josefine-quell.de oder kontaktiert mich über Twitter!

Links:

Link 1: https://fellowshipandfairydust.com/2018/08/03/magic-brotherhood-and-destiny/

Link 2: https://www.reddit.com/r/merlinbbc/comments/owcca7/did_merlin_as_show_queer_bait/

Link 3: https://lesbian-morgana.tumblr.com/

Sexualität, Emotionen und lesbische Sichtbarkeit in „Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ von 永田カビ (Nagata Kabi)

Rezension zum Manga – übersetzt aus dem Japanischen ins Deutsche von Nadja Stutterheim

In dem Manga „Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ von 永田カビ (Nagata Kabi) geht es um eine Hauptfigur, die ihr Studium abgebrochen hat, Depressionen und eine Essstörung hat und versucht einen Weg fürs Leben zu finden, mit dem die Hauptfigur, im deutschsprachigen Text einmal als XX Nagata benannt, glücklich sein kann. Zu Beginn der Geschichte hat die Figur noch keine sexuellen Erfahrungen mit anderen Personen. Dies ändert sich als XX Nagata sich dafür entscheidet, zu einer Prostituierten zu gehen. Wie der Titel des Mangas „meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ schon vermuten lässt, steht bei der Geschichte die lesbische Erfahrung im Fokus.

In dieser Rezension werde ich auf den Plot der Geschichte eingehen. Was die Geschichte aber ganz besonders macht, sind die Gefühle und Emotionen, die darin rübergebracht werden. D.h., auch wenn ich über die wichtigsten Handlungen in der Geschichte schreibe, der Kern der Geschichte im Buch selbst zu entdecken bleibt, nämlich die Gefühle und Emotionen. Genauso faszinierend sind die kleinen Schritte, die dafür sorgen, dass die einen Dinge zu den anderen führen.

Content Notes: Nennung von Depressionen, Essstörungen, Einstellung zu Körper, Selbstverletzung

Wer Interesse daran hat, diesen Manga zu lesen, sollte sich klar sein, dass sehr viele Emotionen und Gedanken, die mit den Depressionen, Essstörungen, der Einstellung der Hauptfigur mit ihrem Körper und weiteren Problemen wiedergegeben werden. Auch Selbstverletzung wird thematisiert. Ich halte es für wichtig, dass diese Themen angesprochen werden und dass diesen Lebenserfahrungen Raum gegeben wird, also, dass sich diese Geschichten angehört werden. Gleichzeitig kann es aber auch weiter triggern, weshalb ich es an dieser Stelle einmal angesprochen haben wollte.

Zur Einführung in die Geschichte

Die Hauptfigur leidet, hat Probleme mit Jobs, mit anderen Menschen und mit ihrer Psyche. Eines Tages liest XX Nagata, dass psychische Probleme auch mit der Sexualität zusammenhängen könnten. Der Figur fällt auf, dass sie sich Gedanken über Sexualität nie erlaubt hat. Dies bringt die Gedanken ins Rollen. Ein Schritt führt zum anderen und es endet damit, dass die Figur einen Termin mit einer Prostituierten abmacht.

Es geht in diesem Manga darum, wie sich die Hauptfigur bei ihren Erfahrungen fühlt. Es geht nicht darum, eine erotische Fantasie zu verkaufen, sondern die Umstände hinter der Fantasie anzusprechen und zu zeigen, wie sexuelle Begegnungen ablaufen können. Es geht um das erste Mal der Hauptfigur und wird sehr detailliert beschrieben bzw. mit den Zeichnungen gezeigt. Und es wird gezeigt, wie messy das erste Mal sein kann.

Über Gefühle und Emotionen in einer Geschichte sprechen

Ich mag den Erzählstil. Der Fokus liegt auf Gefühlen, nicht auf der Action oder reiner Erregung. Es geht auch um Zweifel, Hemmungen, Einsamkeit. Wenn man sich so von anderen Personen distanziert, dass Kommunikation quasi nicht stattfindet, ist es auch schwierig Sexualität auszutesten. Bücher, online Texte und Twitter helfen der Hauptfigur, trotzdem ihren Weg zu finden. Die Problematik, dass strukturelle Aufklärung zu Themen der Sexualität fehlt, wird auch angesprochen. Wie kann lesbische Sexualität aussehen? Wie sieht Selbstbefriedigung aus? Und wie unterscheidet sich Sexualität in der realen Welt im Vergleich zur Fiktion aus? Diese Fragen werden gestellt und sie sind hochaktuell für viele Menschen.

Kommunikation in der Einsamkeit

Die Hauptfigur hat sich im Laufe der Geschichte dazu entschieden, ihre Geschichte in Form eines Mangas niederzuzeichnen und zu veröffentlichen. Dies scheint mir ein schöner Weg zu sein, die eigene Geschichte loszuwerden und wieder neue Verbindungen in die Außenwelt zu schaffen. Das Buch wurde zuerst 2016 in Japan veröffentlicht. Jetzt mit den Maßnahmen wie Social Distancing ist es wahrscheinlich, dass noch viel mehr Menschen ähnliche Gefühle haben wie die Hauptfigur. Vielen fällt es schwer, mit anderen zu connecten. Aber das Buch zeigt auch, dass es auch da Wege gibt. Wir können über das Internet mit einer Menge Personen kommunizieren, auch wenn wir uns in der offline Welt nicht trauen oder nicht mit Nähe wohlfühlen. Aber dass die Geschichte nicht in einem Pandemiesetting spielt, zeigt eben auch, dass es auch ohne Social Distancing schon Personen gibt, die Schwierigkeiten mit dem Connecten mit anderen Personen haben. Es hilft dabei, darüber nachzudenken, wie unterschiedlich Menschen durch ihr Leben laufen. Aber auch welche Rolle die Repräsentation von unterschiedlichen Lebensweisen in den Medien spielt.

Repräsentation

Diese Geschichte schafft Repräsentation in den Medien. Sie schafft Aufmerksamkeit für Einsamkeit, psychische Probleme, Hemmungen, Unsicherheiten mit Menschen und Sexualität. Das Buch normalisiert auch lesbische Sexualität und Prostitution.

Zur Prostitution: Durch den Erzählstil wird die Prostitution nur aus Sicht der Hauptfigur gezeigt. Was diese mitbekommen hat, ist das, was den Lesenden gezeigt wird. Der Fokus ist hier nicht, zu zeigen, wie die Prostitution funktioniert, sondern darauf, wie die Hauptfigur mit ihrer Sexualität umgeht.

Über den Verlag und die deutsche Übersetzung

CN misgendern

Ein Blick ins Carlsen Manga Angebot zeigt, dass Queerness (u.a. die Kategorie „Boys Love“) im Manga-Teil des Verlagsprogramms eine Rolle zu spielen scheint. Bei der Gestaltung der deutschen Version des Mangas „Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ wurde darauf geachtet, das ursprüngliche Design von Mangas mit dem Buchrücken auf der rechten Seite und Sprechblasen, die von rechts nach links gelesen werden, beizubehalten. An ein paar Stellen wurden Begriffe extra erklärt, damit auch ein deutschsprachiges Publikum ohne viele Vorkenntnisse zur japanischen Gesellschaft und Kultur der Geschichte folgen können. Was nicht klar wird, ist, weshalb die Hauptfigur im Text über sich selbst sagt, dass sie nicht als Frau angesehen werden möchte, aber dann im Buchrücken in der „sie“ Form und mit dem Begriff „Frau“ über XX Nagata geschrieben wird. Ich habe in diesem Text daher darauf geachtet nur „sie“ zu schreiben, wenn es sich auf „die Figur“ bezieht und ansonsten Pronomen wegzulassen und XX Nagata als selbstgewähltes Pseudonym der Hauptfigur als Namen zu verwenden. Die deutschsprachigen und englischsprachigen Medien scheinen sich einig dabei zu sein, sie/ihr bzw. she/her Pronomen und die Bezeichnung „Frau“ zu verwenden. Japanischsprachige Quellen scheinen hier aber andere Formen nahezulegen.

Wer Japanisch versteht sei daher herzlich dazu eingeladen, den Text im Original zu lesen und mit den Übersetzungen und den Medientexten über den Text in deutsch- und englischsprachigen Räumen zu vergleichen.

In diesem Atemzug sollte auch erwähnt werden, dass bei der deutschsprachigen Version des Mangas die Reihenfolge der Namen von 永田カビ (Nagata Kabi) gewechselt wurde. Dies wird mit japanischen Namen im Deutschen häufig gemacht, da die Reihenfolge von Familienname und Rufname im Japanischen umgekehrt zu der Reihenfolge im Deutschen ist. Ich habe mich für diesen Text dafür entschieden, die Reihenfolge der Namen aus dem Original zu verwenden. Asiatische Namen werden viel zu häufig für weiße europäische Räume verändert.

Empfehlung

Ich würde jeder Person, die mit den Content Notes klarkommt, empfehlen, den Manga zu lesen. Besonders empfehlen kann ich den Manga den Personen, die eine Verbindung zu Lesbianism haben oder sich über das Thema interessieren.

Was ich sehr süß fand, ist, dass die Hauptfigur davon erzählt hat, Twitter viel zu benutzen. Der Manga gilt übrigens als biografisches Werk (Aussage z.B. vom Buchrücken). Dies scheint auch durch die Wahl des Pseudonyms für die Hauptfigur, das dem Pseudonym von 永田カビ (Nagata Kabi) ähnelt, durch 永田カビ (Nagata Kabi) selbst nahegelegt zu werden.

*** Thank you note ***

An dieser Stelle möchte ich Aisha für die Informationen über das japanische Pronomensystem und die Recherche zu dem Manga im Japanischen danken. – I want to thank Aisha for their help to get a grasp of the Japanese pronouns and their use around this manga for this review.

Linksammlung:

Link zur deutschsprachigen Ausgabe beim Carlsen Verlag: https://www.carlsen.de/hardcover/meine-lesbische-erfahrung-mit-einsamkeit/978-3-551-76277-1

Japanischsprachiger Twitter-Account von 永田カビ (Nagata Kabi): @gogatsubyyyo https://twitter.com/gogatsubyyyo


Japanischer Titel des Mangas: 『さびしすぎてレズ風俗に行きましたレポ』(Quelle: Twitter-Account @gogatsubyyyo) (Als Beispiel verlinke ich hier die japanische Amazon-Seite zum Manga.)

Zur englischsprachigen Ausgabe „My Lesbian Experience with Loneliness“: https://sevenseasentertainment.com/2016/10/28/seven-seas-entertainment-proudly-announces-my-lesbian-experience-with-loneliness-manga/

Aromantische und asexuelle Identitäten greifbar und eben auch sichtbar gemacht

Rezension zum Buch „(un)sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ von Annika Baumgart und Katharina Kroschel

CN Unsichtbarkeit und Erasure von Aromantik und Asexualität (besonders bei Aromantik), Nennung von Diskriminierung, Pathologisierung, Vorurteilen und Klischees

(Hinweis: Anders als im Buch selbst, werden in dieser Rezension nicht alle Label und Begriffe erklärt. Hierfür würde ich das digitale Queer-Lexikon oder eben das Buch um das es geht, empfehlen. Dort werden alle wichtigen Begriffe sehr gut erklärt.)

Annika Baumgart und Katharina Kroschel schreiben über ihr eigenes Buch, dass es ein Einführungsbuch in die Thematik Aromantik und Asexualität sein soll und, dass es die Lesenden von verschiedenen Positionen abholen soll und diese dann gemeinsam durch die Inhalte des Buches führen soll. Ich muss sagen, dass dies sehr gut gelungen ist! Bevor ich aber darüberschreibe, wie meine Leseerfahrung mit diesem Buch war, möchte ich einmal über meinen Zugang zum Thema sprechen. Seit einiger Zeit weiß ich, dass ich ace bin und habe auch noch weitere queere Identitäten. Von einem Teil der besprochenen Themen bin ich also selbst direkt betroffen. Ich habe das Buch zur Zeit der Aromantic Spectrum Awareness Week gelesen, was ich ganz passend fand, weil ich durch das Buch viel über Aromantik gelernt habe, wozu ich zuvor noch nicht so viel wusste.

Nun aber zum Buch: Das Buch ist so aufgebaut, dass zu Beginn Definitionen zu den wichtigsten Begriffen besprochen werden. Es wird darauf eingegangen, dass die Label weit gefasst sind und auch Microlabel im demi- und gray-Bereich sind, darunterfallen. Es geht also um einen großen Schirm für viele mögliche Microlabel. Es wird auch betont, dass nur eine Person selbst über die Label entscheiden kann, die für einen genutzt werden. Das sorgt eben auch dafür, dass Grenzen zwischen Labeln verschwimmen können und bei unterschiedlichen Personen unterschiedlich aussehen können.

Diese Definitionen sind aus queerer Sicht wichtig, da normative patriarchale Systeme nur aufgebrochen werden können, wenn die Fremdzuweisung von Labeln gestoppt wird und Personen für sich selbst sprechen und entscheiden können. Auch haben mir die Definitionen nochmal die Augen geöffnet. Ich wusste, dass „keinen Sex haben“ und asexuell sein, nichts miteinander zu tun haben muss. Es kann sein, dass eine Person selten Interesse an sexuellen Handlungen hat oder einfach keine sexuelle Anziehung spürt. Dass von einem Spektrum gesprochen wird, zeigt, dass nicht jede Person mit demselben Label gleich fühlt oder handelt. Wenn ich selbst mich zum Beispiel beim Dating als ace oute, merke ich, dass nicht alle wissen, was das Konzept dahinter überhaupt ist. Auch werden im Buch einige Stereotype angesprochen und zerlegt. Damit fühlte ich mich gut abgeholt und hatte das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.

Zur Aromantik wurde genauso beschrieben, dass Handlung, Gefühl und Anziehung auch in diesem Bereich nicht zusammenhängen müssen und auch hier Phasenweise Veränderungen möglich sind. Und dies war etwas, was mir die Augen geöffnet hat. Ich weiß nicht, wie viele von euch eine feste Vorstellung davon haben, was beispielsweise Verliebtsein und romantische Liebe bedeuten oder was gemeint ist, wenn Paare in einer romantischen Beziehung sich gegenseitig sagen, dass sie sich lieben. Ich für meinen Teil hatte für diese Konzepte immer Schwierigkeiten diese in Worte zu fassen. Als Teenager habe ich mit Freund*innen darüber diskutiert, was denn letztendlich den Unterschied zwischen Freundschaft und Beziehung ausmacht – Achtung, hier geht es um Beziehungsweisen, die müssen per se nichts damit zu tun haben, ob Personen aromantisch oder asexuell sind oder nicht. Wir haben diese Dinge diskutiert, weil ich Gefühle, die ich bei bestimmten Freund*innen und romantischen Partner*innen nicht voneinander unterscheiden konnte, obwohl klar aufgeteilt war, mit wem ich befreundet und mit wem ich in einer romantischen Beziehung war. Vermutlich hatte ich romantische Gefühle einfach für mehr Personen als ich dachte. Ich denke, dass dieses Beispiel ganz gut zeigt, wie Beziehungsweisen und Gefühle und Anziehung voneinander abweichen können. Auf diese Abweichungen gehen die beiden im Buch auch sehr schön ein! Freundschaften, queerplatonische Beziehungen und romantische Beziehungen werden beispielsweise besprochen.

Im ganzen Buch sind Erzählungen von Personen verteilt, die unter die Schirmbegriffe aromantisch und/oder asexuell passen. Die Erzählungen zeigen, dass das Leben nicht so geradlinig ist, wie Bücher es manchmal scheinen lassen. Es gibt Ehen, in denen nach vielen Jahren erst auffällt, dass eine der beteiligten Personen asexuell ist. Es kommen auch Partnerschaften vor, in denen auf einmal rauskommt, dass beide auf dem aromantischen Spektrum sind.

In dem Buch wird die Geschichte der Konzepte Aromantik und Asexualität und besonders die Rolle des Internets und tumblr Blogs, um nur ein Beispiel zu nennen, weil mich dies immer besonders fasziniert, besprochen. Diskriminierung, Vorurteile, Unsichtbarmachung werden besprochen. Beziehungsarten werden durchgegangen und auch Intersektionalität, also die Verbindungen mit anderen Marginalisierungen wie beispielsweise anderen queeren Identitäten werden auch thematisiert und veraltete Ansätze aus der Wissenschaft werden angesprochen und auseinandergenommen.

Vor ein paar Jahren hatte ich mal „Bi: Notes for a Bisexual Revolution“ von Shiri Eisner (auf Englisch) gelesen. Dort ging es um bi Identitäten und deren Zusammenspiel mit anderen queeren Identitäten und auch deren Bedeutung im Kontext mit Diskriminierung und politischem Aktivismus. Während ich nun das Buch von Annika Baumgart und Katharina Kroschel las, musste ich einige Male an das Buch von Shiri Eisner denken. Zwischen den Themen der beiden Bücher gibt es natürlich Überlappungen. Personen können bisexuell und aromantisch sein oder auch aromantisch mit biromantischen Überlappungen. Auch die Geschichte der Pathologisierung von queeren Identitäten und die häufig zitierten Modelle wie die Kinsey Skala werden durch die Nähe der Themen in beiden Büchern besprochen. Gleichzeitig werden aber auch Unterschiede deutlich. Während Shiri Eisner für ein internationales Publikum auf Englisch schreibt und den Israel-Palästina-Konflikt direkt vor der Haustür hat und dies so auch in die Inhalte des Buches einfließen lässt, schreiben Annika Baumgart und Katharina Kroschel für ein deutschsprachiges Publikum und zeigen Ausschnitte der Lebensrealitäten von eben auch deutschsprachigen Betroffenen, was die Inhalte unterschiedlich prägt. Und der Fokus ist natürlich ein anderer. Inhaltlich macht es eben einen Unterschied aus, ob über Asexualität und Aromantik gesprochen wird oder über bi Identitäten.

Bei der Aromantic Spectrum Awareness Week ist ein wichtiger Aspekt, dass Aromantik nicht als kleines Anhängsel von Asexualität angesehen wird. Die Darstellung der Geschichte der beiden Konzepte in dem Buch zeigt, woher dieses Phänomen kommt, dass die beiden Begriffe teilweise so verschmolzen werden und die Eigenständigkeit des Labels Aromantik bis heute in einigen Kontexten infrage gestellt wird. Da das Buch beide Label bespricht, kann natürlich die Sorge bestehen, dass auch hier wieder die Eigenständigkeit der Aromantik nicht genügend gewürdigt wird. Dieses Problem wird im Buch selbst nicht nur bei der Besprechung der Geschichte, sondern auch bei den Abschnitten zur Diskriminierung besprochen. Beim Lesen bekam ich das Gefühl, dass gerade der Kontrast zwischen den beiden Konzepten hilfreich war. So wurde ich als lesende Person immer wieder darauf gestoßen, dass es wirklich wichtig ist, die beiden Konzepte nicht in einen Topf zu werfen. Gleichzeitig kann ich auch verstehen, wenn dies für einige nicht genügt und diese sich beispielsweise Material wünschen, dass Aromantik ohne Asexualität bespricht. Genauso wie in der Aromantic Spectrum Awareness Week eben nicht auch noch Awareness für Asexualität geschaffen wird.

In diesem Punkt möchte ich auch noch einmal auf das Buch zu bi Identitäten von Shiri Eisner zurückgehen. Shiri Eisner bespricht Bisexualität, Biromantik und politische bi Identitäten in verschiedenen Abschnitten. Das verbindende Element, „bi“, steht im Titel, aber eben auch „bisexual“ im Untertitel. Beim Vergleich dieses Titels mit dem Titel, der Aromantik und Asexualität nennt, fällt auf, dass dies eine andere Wirkung hat. Ich vermag an dieser Stelle nicht darüber zu urteilen, was das bedeutet oder wie dies auch mit Diskursen zu den Labeln zusammenhängen könnte. Letztendlich kann es auch Zufall sein, wobei „(un)sichtbar gemacht“ als Titel ja doch zeigt, dass der Fokus des Buches ist, unsichtbare Identitäten sichtbar zu machen. Letztendlich kann ich nicht sagen, welche Gedanken sich an dieser Stelle gemacht wurden. Aber ich muss sagen, dass ich den Titel des Buches großartig gewählt finde. Der direkte Vergleich mit dem Buchtitel von Shiri Eisner ist auch deswegen nicht unbedingt fair, da dieses Buch aus den Jahr 2013 stammt, also ca. zehn Jahre Diskurs zu solchen Begrifflichkeiten auch noch dazwischenstehen.

Ich persönlich würde das Buch jeder Person weiterempfehlen, die Basics zur Thematik lernen möchte oder sich auch nochmal Lesehinweise für vertiefte Lektüre suchen möchte. Da auch einiges Allgemeines zu verschiedenen queeren Identitäten gesagt wird, habe ich mir schon überlegt, ob ich das Buch nicht auch einfach Bekannten empfehle, die die Basics zu queeren Identitäten noch nicht kennengelernt haben und über die Bedeutung und den Umgang mit Labeln und Diskriminierung vielleicht mal etwas lesen möchten. Damit zeigt sich, dass das Buch tatsächlich ein sehr gutes Einführungsbuch ist. Als teilweise selbst betroffene Person habe ich noch einiges Neues gelernt – und mich mal wieder selbst hinterfragt – und gleichzeitig kann ich mir gut vorstellen, wie das Buch eben auch für Personen ganz ohne Vorwissen hilfreich sein kann.

Buch:

Kroschel, Katharina & Baumgart, Annika. 2022. (un)sichtbar gemacht: Perspektiven auf Aromantik und Asexualität. Münster: Edition Assemblage.

Weitere zitierte Werke:

Eisner, Shiri. 2013. Bi: Notes for a Bisexual Revolution. New York: Seal Press.

Kinsey, Alfred/ Pomeroy, Wardell/ Martin, Clyde. 1948. “The Kinsey Scale”, in: Sexual Behavior in the Human Male. (Mehr Informationen dazu: https://kinseyinstitute.org/research/publications/kinsey-scale.php).

Queer-Lexikon (o.J.), in: https://queer-lexikon.net/.