Autoreferentialität, das Werk „Das Lächeln der Frauen“ und Fernando Pessoa

Buch mit Seiten gelegt wie ein Herz und mit einer Rose
Bild von Jess Bailey auf Pixabay

Das Werk „Das Lächeln der Frauen“

Ein Buch, dessen Cover einen Bezug zu Paris hat und von dem ein rotes Detail einem ins Auge fällt – so war ich damals auf die Bücher aufmerksam geworden, die unter dem Namen Nicolas Barreau veröffentlicht wurden. Auf den ersten Blick geht es bei „Das Lächeln der Frauen“ um eine Liebesgeschichte, die in Paris spielt. Mir würde wahrscheinlich kein klischeebehafteteres Setting für eine Liebesgeschichte einfallen.  

Beim Lesen hatte ich Glück. Das Thema war tatsächlich interessant für mich. Wenn man auf den Buchrücken sieht, ist dort beschrieben, dass das Buch davon handele, wie die Protagonistin in einen Buchladen geht und dort einen Roman findet, der sie so fesselt, dass sie den Autoren unbedingt kennenlernen möchte. 

Autoreferentialität – sich auf sich selbst beziehen

Hier fängt direkt ein Phänomen an, das in der Literatur gar nicht mal so selten zu beobachten ist. Schreibenden wird oft der Rat gegeben, über Dinge zu schreiben, die die Schreibenden bereits sehr gut aus ihrem Leben kennen. Und was kennen Schreibende besonders gut? Bücher! Bücher, Geschichten, Buchhandlungen, das sind meistens die Dinge, in deren Nähe Autor*innen häufig aufzufinden sind. Es wundert also nicht, wenn Schreibende über Bücher schreiben. Wenn sich Texte auf Texte oder den Entstehungsprozess von Texten beziehen, wird dies Autoreferentialität genannt. Das Phänomen heißt so, weil sich Texte damit auf sich selbst beziehen (und „auto“ ein anderes Wort für „selbst“ und „referentiell“ ein anderes Wort für „bezogen“ ist > „die auf sich selbst Bezogenheit“ sozusagen).

Autoreferentialität, Fernando Pessoa und Heteronyme

Fernando Pessoa hat zu dem Thema ein interessantes Gedicht geschrieben. Es heißt „Autopsicografia“ (http://arquivopessoa.net/textos/4234). Darin geht es um den Schreibprozess eines Textes und wie Schreibende „faken“. Dort befindet sich „auto“ sogar direkt im Titel. Dies ist aber nicht die einzige Parallele, die sich zwischen dem Werk „das Lächeln der Frauen“ und Fernando Pessoa ziehen lässt. Der Portugiese Fernando Pessoa ist berühmt dafür, dass er unter verschiedenen Namen geschrieben hat. Hierbei handelt es sich aber nicht um einfache Pseudonyme. Er hat sich für einen Teil der Namen, unter denen er geschrieben hat, eigene Persönlichkeiten mit eigenen Biographien überlegt. Diese Identitäten werden Heteronyme genannt. Für eine handvoll Namen gibt es einen kompletten Hintergrund als Heteronym, viele andere Namen wurden als Pseudonyme verwendet. 

Und ab ins Rabbit Hole der Recherche…

Gucken wir nun in das Werk „Das Lächeln der Frauen“, wir sind noch auf einer der Seiten, die vor dem Romanbeginn kommen. Auf einer der ersten Seiten steht „Nicolas Barreau/ Das Lächeln der Frauen/ Roman/ Aus dem Französischen von Sophie Scherer“. Dieses Detail soll später noch interessant werden. In der Autorenbiographie steht, dass Nicolas Barreau Romanistik studiert habe und in Paris in einer Buchhandlung arbeite. Ein Autor also, der in einer Buchhandlung arbeite und selbst Bücher schreibe, anscheinend sogar Bücher über Bücher. Dieses Szenario bekommt aber noch ein paar Level dazu. 

Die große Überraschung, auf die der Roman zuläuft, ist, dass der Autor, den die Protagonistin so verzweifelt sucht, gar nicht existiert. Sie wundert sich, dass der Autor so schlecht zu erreichen ist, aber dann kommt raus, dass der Lektor vom Verlag, zu dem sie Kontakt hat, eigentlich der Autor ist, dies aber versteckt halten will. Es geht also um einen Autoren, der sich eine zusätzliche Persönlichkeit ausgedacht hat, um unter diesem Namen zu schreiben. Ein weiteres Level kommt noch dazu. Erinnert ihr euch an den Namen des Autoren des Werkes? Nicolas Barreau? Und die Person, die den Text aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt haben soll, Sophie Scherer? Zufällig habe ich auch eine italienische Version von einem anderen Roman von Nicolas Barreau (auch mit einem Paris-Bild als Cover und mit einer Person in rotem Kleid). Der Titel des Buches ist „Con te fino alla fine del mondo“. In dem Buch steht, dass der Text von Nicolas Barreau geschrieben wurde und die italienische Übersetzung von Monica Pesetti stammt. Interessant ist, dass bei beiden Büchern die älteste Copyright-Angabe vom Thiele Verlag stammt. In dem deutschsprachigen Buch steht kein französischer Originaltitel und im italienischen Buch steht nur ein deutscher Originaltitel („Du findest mich am Ende der Welt“). 

Suchen wir also mal nach einer französischen Version. Die gibt es tatsächlich. Das Buch wurde auf Deutsch verfilmt und zu Film und Buch sind französische Versionen unter dem Titel „Le Sourire des femmes“ zu finden. Interessanterweise steht dort aber zum Teil noch ein zweiter Name bei: Sabine Wyckaert-Fetick. Und siehe da, bei einem der anderen Bücher von Nicolas Barreau, wo derselbe Name daneben steht (es handelt sich um das Buch „Un soir à Paris“) steht dabei, dass Sabine Wyckaert-Fetick den Text aus dem Deutschen übersetzt habe (https://www.parinfo.fr/node/22081). Auf Amazon stehen auch beide Namen bei den französischen Büchern von Nicolas Barreau dabei. In der Autorenbiographie steht dort, dass es sich bei dem Namen um ein Pseudonym handele. 

Langsam wird klar, worauf ich hinaus möchte, oder? Auf Amazon stehen auch beide Namen bei den französischen Büchern von Nicolas Barreau dabei. In der Autorenbiographie steht dort, dass es sich bei dem Namen um ein Pseudonym handele. In einem Artikel von Elmar Krekeler in der „Welt“ wird nahegelegt, dass es sich bei dem Autoren um eine ausgedachte Persönlichkeit handele und eigentlich die Lektorin Daniela Thiele das Werk auf Deutsch geschrieben habe und auch der Name Sophie Scherer nur herhalten musste, um zu verschleiern, dass das Werk nicht wirklich im Original aus dem Französischen stamme (https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article108619680/Warum-immer-mehr-Verlage-ihre-Autoren-erfinden.html).

Dazu gibt es im Magazin „BuchMarkt“ ein interessantes Interview aus 2016 mit Daniela Thiele. Sie wird nach ihrem schönsten Erfolg des Jahres gefragt. Sie antwortet, dass sie sich über die Inszenierungen von „Das Lächeln der Frauen“ auf den Bühnen in München und Wien, auch die Standorte des Thiele Verlags, gefreut hat. Danach wird sie nach der schönsten Buchhandlung gefragt. Daraufhin berichtet sie von der Livraria Bertrand in Lissabon und, dass sie dort „natürlich ein Buch von Fernando Pessoa gekauft“ habe. Guckt an. Hatten wir den nicht gerade noch besprochen? Sie selbst spricht sogar an, dass er berühmt für seine vielen Pseudonyme ist. In einer späteren Frage wird sie gefragt, welche Frage sie gerne gefragt worden wäre. Ihre Antwort: „Wer ist Nicolas Barreau?“. Und zuletzt beantwortet sie die Frage selbst mit „Keine Ahnung.“ Hier ist der Link zum gesamten Interview mit Daniela Thiele: https://buchmarkt.de/menschen/der-andere-fragebogen/wie-war-ihr-jahr-daniela-thiele/.

Das Buch, in dem es um ein Buch mit einem Lektoren, der sich einen Autoren ausgedacht hat, stammt also tatsächlich von einer Lektorin, die sich einen Autoren ausgedacht hat? Und diese Lektorin berichtet von Fernando Pessoa, der berühmt für seine Heteronyme ist und auch von Autoreferentialität fasziniert gewesen zu sein scheint und sogar ein Gedicht über das Faken beim Schreibprozess geschrieben hat.