CN: Trauma Gewalt Rassismus Misogynie Klassismus
Eine wichtige Stimme, die gehört werden muss. In dem Buch „Schwarzes Herz“ geht es um die Folgen von Rassismus und Misogynie. Es geht darum, wie körperliche und psychische Gewalt das Leben der Schwarzen Ich-Erzählerin begleitet. Es geht um ihre Kindheit, ihre Jugend und die die ersten Jahre nach der Geburt der zwei Kinder, die aus einer gewaltvollen Partnerschaft stammen.
Im Buch wird häufig zwischen den Lebensabschnitten der Erzählerin gesprungen, von Erlebnissen der Kindheit, wo ihr Stiefvater rassistische Sprache verwendet, um über sie zu sprechen, zu Erlebnissen des Erwachsenenlebens, wo sie den späteren Vater der beiden Kinder, die im Buch vorkommen, kennenlernt, dessen Gewalt ihr gegenüber in weiteren Abschnitten geschildert wird.
In vielen Geschichten machen mich zu viele Zeitsprünge nervös. Ich komm nicht mehr hinterher, was passiert, wo wir uns in der Geschichte befinden, und möchte die Geschehnisse lieber in der chronologischen Reihenfolge hören. Nach meiner Erfahrung, die nicht mit der Geschichte der Erzählerin vergleichbar ist, funktionieren Erinnerungen, besonders die an extrem negative Erfahrungen, wie psychischen Terror und körperliche Gewalt, so nicht.
Eins bewegt sich selten chronologisch durch die traumatischen Erinnerungen, die traumatischen Bilder kommen und gehen. Den Erinnerungen ist es egal, dass es Zeitsprünge von Jahrzehnten gibt. Ich weiß nicht, was sich die Autorin dabei gedacht hat, den Text so anzuordnen. Was ich weiß, ist aber, dass mich die Anordnung des Textes daran erinnert hat, wie traumatische Bilder bei mir selbst kommen und gehen. Daher finde ich die Anordnung der Szenen sehr passend gewählt. Zeitsprünge sorgen beim Lesen eines neuen Abschnittes bei mir als lesende Person häufiger für Orientierungslosigkeit. Das Erleben von traumatischen Erfahrungen tut dies auch. Trotz allem wurde dieses Stilmittel so bewusst gewählt, dass die Erzählerin mich im Lesefluss nicht abgehängt hat. Ich konnte ihr folgen.
Es handelt sich bei der Stimme der Erzählerin um eine wichtige Stimme, da sie ausspricht, was wohl viele, die mit Rassismus und Frauenfeindlichkeit konfrontiert werden, denken. Das Buch gibt denen, die nicht laut werden können, eine Stimme. Das Buch gibt denen, die ähnliche Gedanken und Erfahrungen haben das Gefühl, nicht die einzigen zu sein, denen es so geht. Das Buch zeigt auch, dass es nicht die Überlebenden von Gewalt sind, die an dem, was sie erlebt haben, schuld sind, sondern diejenigen, die die Gewalt ausüben.
Der gesellschaftliche Kontext des Buches spielt auch eine wichtige Rolle. Während Jasmina Kuhnke noch an dem Buch schrieb, musste sie mit ihrer Familie umziehen, weil es Morddrohungen von Rechtsradikalen gegen sie gab und ihre Adresse öffentlich gemacht wurde. Aus Sicherheitsgründen kann die Autorin ihr Buch nicht bei Lesungen auf einer Buchtour promoten. Auch ein unangekündigter Überraschungsauftritt bei der Frankfurter Buchmesse musste von ihr abgesagt werden, weil die Organisator*innen der Buchmesse es nicht einsahen, die Sicherheit von Jasmina Kuhnke und anderen Autor*innen of Color zu gewährleisten und lieber rechtsradikalen Buchverlagen Platz für ihre Stände zu geben, dessen Angehörigen zum Teil auch mit Drohungen gegen die Autorin zusammenhängen.
Der Inhalt des Buches zeigt, was passiert, wenn eins still bleibt. Der gesellschaftliche Kontext zur Veröffentlichung des Buches zeigt, was passiert, wenn eins sich engagiert, sich äußert und Betroffenen eine Stimme gibt.
Die Sprache des Buches zeigt, dass sich die Autorin nicht verstellt, nur weil Kritiker*innen eine ganz bestimmte Sprache erwarten, in der fuck nicht vorkäme, rassistische Ausdrücke aber unkommentiert ausgeschrieben werden können. Rassistische Begriffe, die durch Zitate auftauchen, wurden mit Sternen zensiert. In dem Buch wurde entgendert, wenn es um die anonyme Masse von z.B. Mitschüler*innen und Lehrenden ging und es wurde ein Sensitivity Reading durchgeführt, was es bei vielen anderen Publikationen so sonst häufig noch nicht gibt. Es gibt auch Hinweise am Buchanfang und Buchende, die die Lesenden darauf aufmerksam machen sollen, dass der Inhalt retraumatisierend wirken kann und es gibt eine Aufzählung von Themen, die vorkommen, so dass sich Lesende überlegen können, ob sie das Buch tatsächlich lesen wollen, auch wenn z.B. rassistische Sprache und Gewaltdarstellungen vorkommen. Es wird also deutlich, es wurden sich Gedanken gemacht. Es wurden sich Gedanken gemacht, wie verschiedene marginalisierte Gruppen auf den Text reagieren würden und es wurde nicht die Sprache der Mehrheitsgesellschaft und des Patriarchats übernommen.
Aus meiner Sicht ist dieses Buch eines der wichtigsten Bücher, die ich bisher gelesen habe. Es zeigt, was das Leben in unserer Gesellschaft für diejenigen bereithält, die nicht so privilegiert aufwachsen und regelmäßig mit Rassismus und Misogynie konfrontiert werden. Es zeigt, was an der Oberfläche unserer Gesellschaft beinahe komplett unsichtbar gemacht wird und trotzdem da ist und das Leben vieler Menschen prägt. Das Buch gibt aber auch Hoffnung und für diese Hoffnung möchte ich Jasmina Kuhnke danken.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass diese Rezension von einer weißen Person geschrieben wurde. Bei den Darstellungen der Bezeichnungen weißer und Schwarzer Personen und BIPoCs habe ich mich an den Bezeichnungen orientiert, die Alice Hasters in ihrem Buch „Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ verwendet und erläutert hat. Ich würde allen Lesenden dieser Rezension sehr ans Herz legen, sich noch viel öfter die Stimmen von Schwarzen Frauen und anderen FLINTA* BIPoC anzuhören und den Fokus darauf zu legen, was diese über Rassismus und Misogynie und über Bücher wie „Schwarzes Herz“ zu sagen haben. Ganz zum Schluss denn noch das Fazit: Wenn ihr die Themen, die in den Inhaltshinweisen vorkommen, verkraften könnt, dann lest unbedingt das Buch!
Für diese Rezension hat Jade S. Kye ein Sensitivity Reading in Bezug auf Rassismus-sensibler Sprache durchgeführt. Für das Feedback möchte ich sehr danken!
Das Buch:
Jasmina Kuhnke (2021): Schwarzes Herz. Hamburg: Rowohlt.