Sexualität, Emotionen und lesbische Sichtbarkeit in „Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ von 永田カビ (Nagata Kabi)

Rezension zum Manga – übersetzt aus dem Japanischen ins Deutsche von Nadja Stutterheim

In dem Manga „Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ von 永田カビ (Nagata Kabi) geht es um eine Hauptfigur, die ihr Studium abgebrochen hat, Depressionen und eine Essstörung hat und versucht einen Weg fürs Leben zu finden, mit dem die Hauptfigur, im deutschsprachigen Text einmal als XX Nagata benannt, glücklich sein kann. Zu Beginn der Geschichte hat die Figur noch keine sexuellen Erfahrungen mit anderen Personen. Dies ändert sich als XX Nagata sich dafür entscheidet, zu einer Prostituierten zu gehen. Wie der Titel des Mangas „meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ schon vermuten lässt, steht bei der Geschichte die lesbische Erfahrung im Fokus.

In dieser Rezension werde ich auf den Plot der Geschichte eingehen. Was die Geschichte aber ganz besonders macht, sind die Gefühle und Emotionen, die darin rübergebracht werden. D.h., auch wenn ich über die wichtigsten Handlungen in der Geschichte schreibe, der Kern der Geschichte im Buch selbst zu entdecken bleibt, nämlich die Gefühle und Emotionen. Genauso faszinierend sind die kleinen Schritte, die dafür sorgen, dass die einen Dinge zu den anderen führen.

Content Notes: Nennung von Depressionen, Essstörungen, Einstellung zu Körper, Selbstverletzung

Wer Interesse daran hat, diesen Manga zu lesen, sollte sich klar sein, dass sehr viele Emotionen und Gedanken, die mit den Depressionen, Essstörungen, der Einstellung der Hauptfigur mit ihrem Körper und weiteren Problemen wiedergegeben werden. Auch Selbstverletzung wird thematisiert. Ich halte es für wichtig, dass diese Themen angesprochen werden und dass diesen Lebenserfahrungen Raum gegeben wird, also, dass sich diese Geschichten angehört werden. Gleichzeitig kann es aber auch weiter triggern, weshalb ich es an dieser Stelle einmal angesprochen haben wollte.

Zur Einführung in die Geschichte

Die Hauptfigur leidet, hat Probleme mit Jobs, mit anderen Menschen und mit ihrer Psyche. Eines Tages liest XX Nagata, dass psychische Probleme auch mit der Sexualität zusammenhängen könnten. Der Figur fällt auf, dass sie sich Gedanken über Sexualität nie erlaubt hat. Dies bringt die Gedanken ins Rollen. Ein Schritt führt zum anderen und es endet damit, dass die Figur einen Termin mit einer Prostituierten abmacht.

Es geht in diesem Manga darum, wie sich die Hauptfigur bei ihren Erfahrungen fühlt. Es geht nicht darum, eine erotische Fantasie zu verkaufen, sondern die Umstände hinter der Fantasie anzusprechen und zu zeigen, wie sexuelle Begegnungen ablaufen können. Es geht um das erste Mal der Hauptfigur und wird sehr detailliert beschrieben bzw. mit den Zeichnungen gezeigt. Und es wird gezeigt, wie messy das erste Mal sein kann.

Über Gefühle und Emotionen in einer Geschichte sprechen

Ich mag den Erzählstil. Der Fokus liegt auf Gefühlen, nicht auf der Action oder reiner Erregung. Es geht auch um Zweifel, Hemmungen, Einsamkeit. Wenn man sich so von anderen Personen distanziert, dass Kommunikation quasi nicht stattfindet, ist es auch schwierig Sexualität auszutesten. Bücher, online Texte und Twitter helfen der Hauptfigur, trotzdem ihren Weg zu finden. Die Problematik, dass strukturelle Aufklärung zu Themen der Sexualität fehlt, wird auch angesprochen. Wie kann lesbische Sexualität aussehen? Wie sieht Selbstbefriedigung aus? Und wie unterscheidet sich Sexualität in der realen Welt im Vergleich zur Fiktion aus? Diese Fragen werden gestellt und sie sind hochaktuell für viele Menschen.

Kommunikation in der Einsamkeit

Die Hauptfigur hat sich im Laufe der Geschichte dazu entschieden, ihre Geschichte in Form eines Mangas niederzuzeichnen und zu veröffentlichen. Dies scheint mir ein schöner Weg zu sein, die eigene Geschichte loszuwerden und wieder neue Verbindungen in die Außenwelt zu schaffen. Das Buch wurde zuerst 2016 in Japan veröffentlicht. Jetzt mit den Maßnahmen wie Social Distancing ist es wahrscheinlich, dass noch viel mehr Menschen ähnliche Gefühle haben wie die Hauptfigur. Vielen fällt es schwer, mit anderen zu connecten. Aber das Buch zeigt auch, dass es auch da Wege gibt. Wir können über das Internet mit einer Menge Personen kommunizieren, auch wenn wir uns in der offline Welt nicht trauen oder nicht mit Nähe wohlfühlen. Aber dass die Geschichte nicht in einem Pandemiesetting spielt, zeigt eben auch, dass es auch ohne Social Distancing schon Personen gibt, die Schwierigkeiten mit dem Connecten mit anderen Personen haben. Es hilft dabei, darüber nachzudenken, wie unterschiedlich Menschen durch ihr Leben laufen. Aber auch welche Rolle die Repräsentation von unterschiedlichen Lebensweisen in den Medien spielt.

Repräsentation

Diese Geschichte schafft Repräsentation in den Medien. Sie schafft Aufmerksamkeit für Einsamkeit, psychische Probleme, Hemmungen, Unsicherheiten mit Menschen und Sexualität. Das Buch normalisiert auch lesbische Sexualität und Prostitution.

Zur Prostitution: Durch den Erzählstil wird die Prostitution nur aus Sicht der Hauptfigur gezeigt. Was diese mitbekommen hat, ist das, was den Lesenden gezeigt wird. Der Fokus ist hier nicht, zu zeigen, wie die Prostitution funktioniert, sondern darauf, wie die Hauptfigur mit ihrer Sexualität umgeht.

Über den Verlag und die deutsche Übersetzung

CN misgendern

Ein Blick ins Carlsen Manga Angebot zeigt, dass Queerness (u.a. die Kategorie „Boys Love“) im Manga-Teil des Verlagsprogramms eine Rolle zu spielen scheint. Bei der Gestaltung der deutschen Version des Mangas „Meine lesbische Erfahrung mit Einsamkeit“ wurde darauf geachtet, das ursprüngliche Design von Mangas mit dem Buchrücken auf der rechten Seite und Sprechblasen, die von rechts nach links gelesen werden, beizubehalten. An ein paar Stellen wurden Begriffe extra erklärt, damit auch ein deutschsprachiges Publikum ohne viele Vorkenntnisse zur japanischen Gesellschaft und Kultur der Geschichte folgen können. Was nicht klar wird, ist, weshalb die Hauptfigur im Text über sich selbst sagt, dass sie nicht als Frau angesehen werden möchte, aber dann im Buchrücken in der „sie“ Form und mit dem Begriff „Frau“ über XX Nagata geschrieben wird. Ich habe in diesem Text daher darauf geachtet nur „sie“ zu schreiben, wenn es sich auf „die Figur“ bezieht und ansonsten Pronomen wegzulassen und XX Nagata als selbstgewähltes Pseudonym der Hauptfigur als Namen zu verwenden. Die deutschsprachigen und englischsprachigen Medien scheinen sich einig dabei zu sein, sie/ihr bzw. she/her Pronomen und die Bezeichnung „Frau“ zu verwenden. Japanischsprachige Quellen scheinen hier aber andere Formen nahezulegen.

Wer Japanisch versteht sei daher herzlich dazu eingeladen, den Text im Original zu lesen und mit den Übersetzungen und den Medientexten über den Text in deutsch- und englischsprachigen Räumen zu vergleichen.

In diesem Atemzug sollte auch erwähnt werden, dass bei der deutschsprachigen Version des Mangas die Reihenfolge der Namen von 永田カビ (Nagata Kabi) gewechselt wurde. Dies wird mit japanischen Namen im Deutschen häufig gemacht, da die Reihenfolge von Familienname und Rufname im Japanischen umgekehrt zu der Reihenfolge im Deutschen ist. Ich habe mich für diesen Text dafür entschieden, die Reihenfolge der Namen aus dem Original zu verwenden. Asiatische Namen werden viel zu häufig für weiße europäische Räume verändert.

Empfehlung

Ich würde jeder Person, die mit den Content Notes klarkommt, empfehlen, den Manga zu lesen. Besonders empfehlen kann ich den Manga den Personen, die eine Verbindung zu Lesbianism haben oder sich über das Thema interessieren.

Was ich sehr süß fand, ist, dass die Hauptfigur davon erzählt hat, Twitter viel zu benutzen. Der Manga gilt übrigens als biografisches Werk (Aussage z.B. vom Buchrücken). Dies scheint auch durch die Wahl des Pseudonyms für die Hauptfigur, das dem Pseudonym von 永田カビ (Nagata Kabi) ähnelt, durch 永田カビ (Nagata Kabi) selbst nahegelegt zu werden.

*** Thank you note ***

An dieser Stelle möchte ich Aisha für die Informationen über das japanische Pronomensystem und die Recherche zu dem Manga im Japanischen danken. – I want to thank Aisha for their help to get a grasp of the Japanese pronouns and their use around this manga for this review.

Linksammlung:

Link zur deutschsprachigen Ausgabe beim Carlsen Verlag: https://www.carlsen.de/hardcover/meine-lesbische-erfahrung-mit-einsamkeit/978-3-551-76277-1

Japanischsprachiger Twitter-Account von 永田カビ (Nagata Kabi): @gogatsubyyyo https://twitter.com/gogatsubyyyo


Japanischer Titel des Mangas: 『さびしすぎてレズ風俗に行きましたレポ』(Quelle: Twitter-Account @gogatsubyyyo) (Als Beispiel verlinke ich hier die japanische Amazon-Seite zum Manga.)

Zur englischsprachigen Ausgabe „My Lesbian Experience with Loneliness“: https://sevenseasentertainment.com/2016/10/28/seven-seas-entertainment-proudly-announces-my-lesbian-experience-with-loneliness-manga/