Autoreferentialität, das Werk „Das Lächeln der Frauen“ und Fernando Pessoa

Buch mit Seiten gelegt wie ein Herz und mit einer Rose
Bild von Jess Bailey auf Pixabay

Das Werk „Das Lächeln der Frauen“

Ein Buch, dessen Cover einen Bezug zu Paris hat und von dem ein rotes Detail einem ins Auge fällt – so war ich damals auf die Bücher aufmerksam geworden, die unter dem Namen Nicolas Barreau veröffentlicht wurden. Auf den ersten Blick geht es bei „Das Lächeln der Frauen“ um eine Liebesgeschichte, die in Paris spielt. Mir würde wahrscheinlich kein klischeebehafteteres Setting für eine Liebesgeschichte einfallen.  

Beim Lesen hatte ich Glück. Das Thema war tatsächlich interessant für mich. Wenn man auf den Buchrücken sieht, ist dort beschrieben, dass das Buch davon handele, wie die Protagonistin in einen Buchladen geht und dort einen Roman findet, der sie so fesselt, dass sie den Autoren unbedingt kennenlernen möchte. 

Autoreferentialität – sich auf sich selbst beziehen

Hier fängt direkt ein Phänomen an, das in der Literatur gar nicht mal so selten zu beobachten ist. Schreibenden wird oft der Rat gegeben, über Dinge zu schreiben, die die Schreibenden bereits sehr gut aus ihrem Leben kennen. Und was kennen Schreibende besonders gut? Bücher! Bücher, Geschichten, Buchhandlungen, das sind meistens die Dinge, in deren Nähe Autor*innen häufig aufzufinden sind. Es wundert also nicht, wenn Schreibende über Bücher schreiben. Wenn sich Texte auf Texte oder den Entstehungsprozess von Texten beziehen, wird dies Autoreferentialität genannt. Das Phänomen heißt so, weil sich Texte damit auf sich selbst beziehen (und „auto“ ein anderes Wort für „selbst“ und „referentiell“ ein anderes Wort für „bezogen“ ist > „die auf sich selbst Bezogenheit“ sozusagen).

Autoreferentialität, Fernando Pessoa und Heteronyme

Fernando Pessoa hat zu dem Thema ein interessantes Gedicht geschrieben. Es heißt „Autopsicografia“ (http://arquivopessoa.net/textos/4234). Darin geht es um den Schreibprozess eines Textes und wie Schreibende „faken“. Dort befindet sich „auto“ sogar direkt im Titel. Dies ist aber nicht die einzige Parallele, die sich zwischen dem Werk „das Lächeln der Frauen“ und Fernando Pessoa ziehen lässt. Der Portugiese Fernando Pessoa ist berühmt dafür, dass er unter verschiedenen Namen geschrieben hat. Hierbei handelt es sich aber nicht um einfache Pseudonyme. Er hat sich für einen Teil der Namen, unter denen er geschrieben hat, eigene Persönlichkeiten mit eigenen Biographien überlegt. Diese Identitäten werden Heteronyme genannt. Für eine handvoll Namen gibt es einen kompletten Hintergrund als Heteronym, viele andere Namen wurden als Pseudonyme verwendet. 

Und ab ins Rabbit Hole der Recherche…

Gucken wir nun in das Werk „Das Lächeln der Frauen“, wir sind noch auf einer der Seiten, die vor dem Romanbeginn kommen. Auf einer der ersten Seiten steht „Nicolas Barreau/ Das Lächeln der Frauen/ Roman/ Aus dem Französischen von Sophie Scherer“. Dieses Detail soll später noch interessant werden. In der Autorenbiographie steht, dass Nicolas Barreau Romanistik studiert habe und in Paris in einer Buchhandlung arbeite. Ein Autor also, der in einer Buchhandlung arbeite und selbst Bücher schreibe, anscheinend sogar Bücher über Bücher. Dieses Szenario bekommt aber noch ein paar Level dazu. 

Die große Überraschung, auf die der Roman zuläuft, ist, dass der Autor, den die Protagonistin so verzweifelt sucht, gar nicht existiert. Sie wundert sich, dass der Autor so schlecht zu erreichen ist, aber dann kommt raus, dass der Lektor vom Verlag, zu dem sie Kontakt hat, eigentlich der Autor ist, dies aber versteckt halten will. Es geht also um einen Autoren, der sich eine zusätzliche Persönlichkeit ausgedacht hat, um unter diesem Namen zu schreiben. Ein weiteres Level kommt noch dazu. Erinnert ihr euch an den Namen des Autoren des Werkes? Nicolas Barreau? Und die Person, die den Text aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt haben soll, Sophie Scherer? Zufällig habe ich auch eine italienische Version von einem anderen Roman von Nicolas Barreau (auch mit einem Paris-Bild als Cover und mit einer Person in rotem Kleid). Der Titel des Buches ist „Con te fino alla fine del mondo“. In dem Buch steht, dass der Text von Nicolas Barreau geschrieben wurde und die italienische Übersetzung von Monica Pesetti stammt. Interessant ist, dass bei beiden Büchern die älteste Copyright-Angabe vom Thiele Verlag stammt. In dem deutschsprachigen Buch steht kein französischer Originaltitel und im italienischen Buch steht nur ein deutscher Originaltitel („Du findest mich am Ende der Welt“). 

Suchen wir also mal nach einer französischen Version. Die gibt es tatsächlich. Das Buch wurde auf Deutsch verfilmt und zu Film und Buch sind französische Versionen unter dem Titel „Le Sourire des femmes“ zu finden. Interessanterweise steht dort aber zum Teil noch ein zweiter Name bei: Sabine Wyckaert-Fetick. Und siehe da, bei einem der anderen Bücher von Nicolas Barreau, wo derselbe Name daneben steht (es handelt sich um das Buch „Un soir à Paris“) steht dabei, dass Sabine Wyckaert-Fetick den Text aus dem Deutschen übersetzt habe (https://www.parinfo.fr/node/22081). Auf Amazon stehen auch beide Namen bei den französischen Büchern von Nicolas Barreau dabei. In der Autorenbiographie steht dort, dass es sich bei dem Namen um ein Pseudonym handele. 

Langsam wird klar, worauf ich hinaus möchte, oder? Auf Amazon stehen auch beide Namen bei den französischen Büchern von Nicolas Barreau dabei. In der Autorenbiographie steht dort, dass es sich bei dem Namen um ein Pseudonym handele. In einem Artikel von Elmar Krekeler in der „Welt“ wird nahegelegt, dass es sich bei dem Autoren um eine ausgedachte Persönlichkeit handele und eigentlich die Lektorin Daniela Thiele das Werk auf Deutsch geschrieben habe und auch der Name Sophie Scherer nur herhalten musste, um zu verschleiern, dass das Werk nicht wirklich im Original aus dem Französischen stamme (https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article108619680/Warum-immer-mehr-Verlage-ihre-Autoren-erfinden.html).

Dazu gibt es im Magazin „BuchMarkt“ ein interessantes Interview aus 2016 mit Daniela Thiele. Sie wird nach ihrem schönsten Erfolg des Jahres gefragt. Sie antwortet, dass sie sich über die Inszenierungen von „Das Lächeln der Frauen“ auf den Bühnen in München und Wien, auch die Standorte des Thiele Verlags, gefreut hat. Danach wird sie nach der schönsten Buchhandlung gefragt. Daraufhin berichtet sie von der Livraria Bertrand in Lissabon und, dass sie dort „natürlich ein Buch von Fernando Pessoa gekauft“ habe. Guckt an. Hatten wir den nicht gerade noch besprochen? Sie selbst spricht sogar an, dass er berühmt für seine vielen Pseudonyme ist. In einer späteren Frage wird sie gefragt, welche Frage sie gerne gefragt worden wäre. Ihre Antwort: „Wer ist Nicolas Barreau?“. Und zuletzt beantwortet sie die Frage selbst mit „Keine Ahnung.“ Hier ist der Link zum gesamten Interview mit Daniela Thiele: https://buchmarkt.de/menschen/der-andere-fragebogen/wie-war-ihr-jahr-daniela-thiele/.

Das Buch, in dem es um ein Buch mit einem Lektoren, der sich einen Autoren ausgedacht hat, stammt also tatsächlich von einer Lektorin, die sich einen Autoren ausgedacht hat? Und diese Lektorin berichtet von Fernando Pessoa, der berühmt für seine Heteronyme ist und auch von Autoreferentialität fasziniert gewesen zu sein scheint und sogar ein Gedicht über das Faken beim Schreibprozess geschrieben hat. 


Aromantische und asexuelle Identitäten greifbar und eben auch sichtbar gemacht

Rezension zum Buch „(un)sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ von Annika Baumgart und Katharina Kroschel

CN Unsichtbarkeit und Erasure von Aromantik und Asexualität (besonders bei Aromantik), Nennung von Diskriminierung, Pathologisierung, Vorurteilen und Klischees

(Hinweis: Anders als im Buch selbst, werden in dieser Rezension nicht alle Label und Begriffe erklärt. Hierfür würde ich das digitale Queer-Lexikon oder eben das Buch um das es geht, empfehlen. Dort werden alle wichtigen Begriffe sehr gut erklärt.)

Annika Baumgart und Katharina Kroschel schreiben über ihr eigenes Buch, dass es ein Einführungsbuch in die Thematik Aromantik und Asexualität sein soll und, dass es die Lesenden von verschiedenen Positionen abholen soll und diese dann gemeinsam durch die Inhalte des Buches führen soll. Ich muss sagen, dass dies sehr gut gelungen ist! Bevor ich aber darüberschreibe, wie meine Leseerfahrung mit diesem Buch war, möchte ich einmal über meinen Zugang zum Thema sprechen. Seit einiger Zeit weiß ich, dass ich ace bin und habe auch noch weitere queere Identitäten. Von einem Teil der besprochenen Themen bin ich also selbst direkt betroffen. Ich habe das Buch zur Zeit der Aromantic Spectrum Awareness Week gelesen, was ich ganz passend fand, weil ich durch das Buch viel über Aromantik gelernt habe, wozu ich zuvor noch nicht so viel wusste.

Nun aber zum Buch: Das Buch ist so aufgebaut, dass zu Beginn Definitionen zu den wichtigsten Begriffen besprochen werden. Es wird darauf eingegangen, dass die Label weit gefasst sind und auch Microlabel im demi- und gray-Bereich sind, darunterfallen. Es geht also um einen großen Schirm für viele mögliche Microlabel. Es wird auch betont, dass nur eine Person selbst über die Label entscheiden kann, die für einen genutzt werden. Das sorgt eben auch dafür, dass Grenzen zwischen Labeln verschwimmen können und bei unterschiedlichen Personen unterschiedlich aussehen können.

Diese Definitionen sind aus queerer Sicht wichtig, da normative patriarchale Systeme nur aufgebrochen werden können, wenn die Fremdzuweisung von Labeln gestoppt wird und Personen für sich selbst sprechen und entscheiden können. Auch haben mir die Definitionen nochmal die Augen geöffnet. Ich wusste, dass „keinen Sex haben“ und asexuell sein, nichts miteinander zu tun haben muss. Es kann sein, dass eine Person selten Interesse an sexuellen Handlungen hat oder einfach keine sexuelle Anziehung spürt. Dass von einem Spektrum gesprochen wird, zeigt, dass nicht jede Person mit demselben Label gleich fühlt oder handelt. Wenn ich selbst mich zum Beispiel beim Dating als ace oute, merke ich, dass nicht alle wissen, was das Konzept dahinter überhaupt ist. Auch werden im Buch einige Stereotype angesprochen und zerlegt. Damit fühlte ich mich gut abgeholt und hatte das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.

Zur Aromantik wurde genauso beschrieben, dass Handlung, Gefühl und Anziehung auch in diesem Bereich nicht zusammenhängen müssen und auch hier Phasenweise Veränderungen möglich sind. Und dies war etwas, was mir die Augen geöffnet hat. Ich weiß nicht, wie viele von euch eine feste Vorstellung davon haben, was beispielsweise Verliebtsein und romantische Liebe bedeuten oder was gemeint ist, wenn Paare in einer romantischen Beziehung sich gegenseitig sagen, dass sie sich lieben. Ich für meinen Teil hatte für diese Konzepte immer Schwierigkeiten diese in Worte zu fassen. Als Teenager habe ich mit Freund*innen darüber diskutiert, was denn letztendlich den Unterschied zwischen Freundschaft und Beziehung ausmacht – Achtung, hier geht es um Beziehungsweisen, die müssen per se nichts damit zu tun haben, ob Personen aromantisch oder asexuell sind oder nicht. Wir haben diese Dinge diskutiert, weil ich Gefühle, die ich bei bestimmten Freund*innen und romantischen Partner*innen nicht voneinander unterscheiden konnte, obwohl klar aufgeteilt war, mit wem ich befreundet und mit wem ich in einer romantischen Beziehung war. Vermutlich hatte ich romantische Gefühle einfach für mehr Personen als ich dachte. Ich denke, dass dieses Beispiel ganz gut zeigt, wie Beziehungsweisen und Gefühle und Anziehung voneinander abweichen können. Auf diese Abweichungen gehen die beiden im Buch auch sehr schön ein! Freundschaften, queerplatonische Beziehungen und romantische Beziehungen werden beispielsweise besprochen.

Im ganzen Buch sind Erzählungen von Personen verteilt, die unter die Schirmbegriffe aromantisch und/oder asexuell passen. Die Erzählungen zeigen, dass das Leben nicht so geradlinig ist, wie Bücher es manchmal scheinen lassen. Es gibt Ehen, in denen nach vielen Jahren erst auffällt, dass eine der beteiligten Personen asexuell ist. Es kommen auch Partnerschaften vor, in denen auf einmal rauskommt, dass beide auf dem aromantischen Spektrum sind.

In dem Buch wird die Geschichte der Konzepte Aromantik und Asexualität und besonders die Rolle des Internets und tumblr Blogs, um nur ein Beispiel zu nennen, weil mich dies immer besonders fasziniert, besprochen. Diskriminierung, Vorurteile, Unsichtbarmachung werden besprochen. Beziehungsarten werden durchgegangen und auch Intersektionalität, also die Verbindungen mit anderen Marginalisierungen wie beispielsweise anderen queeren Identitäten werden auch thematisiert und veraltete Ansätze aus der Wissenschaft werden angesprochen und auseinandergenommen.

Vor ein paar Jahren hatte ich mal „Bi: Notes for a Bisexual Revolution“ von Shiri Eisner (auf Englisch) gelesen. Dort ging es um bi Identitäten und deren Zusammenspiel mit anderen queeren Identitäten und auch deren Bedeutung im Kontext mit Diskriminierung und politischem Aktivismus. Während ich nun das Buch von Annika Baumgart und Katharina Kroschel las, musste ich einige Male an das Buch von Shiri Eisner denken. Zwischen den Themen der beiden Bücher gibt es natürlich Überlappungen. Personen können bisexuell und aromantisch sein oder auch aromantisch mit biromantischen Überlappungen. Auch die Geschichte der Pathologisierung von queeren Identitäten und die häufig zitierten Modelle wie die Kinsey Skala werden durch die Nähe der Themen in beiden Büchern besprochen. Gleichzeitig werden aber auch Unterschiede deutlich. Während Shiri Eisner für ein internationales Publikum auf Englisch schreibt und den Israel-Palästina-Konflikt direkt vor der Haustür hat und dies so auch in die Inhalte des Buches einfließen lässt, schreiben Annika Baumgart und Katharina Kroschel für ein deutschsprachiges Publikum und zeigen Ausschnitte der Lebensrealitäten von eben auch deutschsprachigen Betroffenen, was die Inhalte unterschiedlich prägt. Und der Fokus ist natürlich ein anderer. Inhaltlich macht es eben einen Unterschied aus, ob über Asexualität und Aromantik gesprochen wird oder über bi Identitäten.

Bei der Aromantic Spectrum Awareness Week ist ein wichtiger Aspekt, dass Aromantik nicht als kleines Anhängsel von Asexualität angesehen wird. Die Darstellung der Geschichte der beiden Konzepte in dem Buch zeigt, woher dieses Phänomen kommt, dass die beiden Begriffe teilweise so verschmolzen werden und die Eigenständigkeit des Labels Aromantik bis heute in einigen Kontexten infrage gestellt wird. Da das Buch beide Label bespricht, kann natürlich die Sorge bestehen, dass auch hier wieder die Eigenständigkeit der Aromantik nicht genügend gewürdigt wird. Dieses Problem wird im Buch selbst nicht nur bei der Besprechung der Geschichte, sondern auch bei den Abschnitten zur Diskriminierung besprochen. Beim Lesen bekam ich das Gefühl, dass gerade der Kontrast zwischen den beiden Konzepten hilfreich war. So wurde ich als lesende Person immer wieder darauf gestoßen, dass es wirklich wichtig ist, die beiden Konzepte nicht in einen Topf zu werfen. Gleichzeitig kann ich auch verstehen, wenn dies für einige nicht genügt und diese sich beispielsweise Material wünschen, dass Aromantik ohne Asexualität bespricht. Genauso wie in der Aromantic Spectrum Awareness Week eben nicht auch noch Awareness für Asexualität geschaffen wird.

In diesem Punkt möchte ich auch noch einmal auf das Buch zu bi Identitäten von Shiri Eisner zurückgehen. Shiri Eisner bespricht Bisexualität, Biromantik und politische bi Identitäten in verschiedenen Abschnitten. Das verbindende Element, „bi“, steht im Titel, aber eben auch „bisexual“ im Untertitel. Beim Vergleich dieses Titels mit dem Titel, der Aromantik und Asexualität nennt, fällt auf, dass dies eine andere Wirkung hat. Ich vermag an dieser Stelle nicht darüber zu urteilen, was das bedeutet oder wie dies auch mit Diskursen zu den Labeln zusammenhängen könnte. Letztendlich kann es auch Zufall sein, wobei „(un)sichtbar gemacht“ als Titel ja doch zeigt, dass der Fokus des Buches ist, unsichtbare Identitäten sichtbar zu machen. Letztendlich kann ich nicht sagen, welche Gedanken sich an dieser Stelle gemacht wurden. Aber ich muss sagen, dass ich den Titel des Buches großartig gewählt finde. Der direkte Vergleich mit dem Buchtitel von Shiri Eisner ist auch deswegen nicht unbedingt fair, da dieses Buch aus den Jahr 2013 stammt, also ca. zehn Jahre Diskurs zu solchen Begrifflichkeiten auch noch dazwischenstehen.

Ich persönlich würde das Buch jeder Person weiterempfehlen, die Basics zur Thematik lernen möchte oder sich auch nochmal Lesehinweise für vertiefte Lektüre suchen möchte. Da auch einiges Allgemeines zu verschiedenen queeren Identitäten gesagt wird, habe ich mir schon überlegt, ob ich das Buch nicht auch einfach Bekannten empfehle, die die Basics zu queeren Identitäten noch nicht kennengelernt haben und über die Bedeutung und den Umgang mit Labeln und Diskriminierung vielleicht mal etwas lesen möchten. Damit zeigt sich, dass das Buch tatsächlich ein sehr gutes Einführungsbuch ist. Als teilweise selbst betroffene Person habe ich noch einiges Neues gelernt – und mich mal wieder selbst hinterfragt – und gleichzeitig kann ich mir gut vorstellen, wie das Buch eben auch für Personen ganz ohne Vorwissen hilfreich sein kann.

Buch:

Kroschel, Katharina & Baumgart, Annika. 2022. (un)sichtbar gemacht: Perspektiven auf Aromantik und Asexualität. Münster: Edition Assemblage.

Weitere zitierte Werke:

Eisner, Shiri. 2013. Bi: Notes for a Bisexual Revolution. New York: Seal Press.

Kinsey, Alfred/ Pomeroy, Wardell/ Martin, Clyde. 1948. “The Kinsey Scale”, in: Sexual Behavior in the Human Male. (Mehr Informationen dazu: https://kinseyinstitute.org/research/publications/kinsey-scale.php).

Queer-Lexikon (o.J.), in: https://queer-lexikon.net/.

Vorwort zum Lese-Update #Leseerfahrungen

  • CN Vereinzelte Nennung von Rassismus , weiteren -ismen , Gatekeeping und indirekte Nennung von strukturellem Ableismus

Hallo!

Ich habe mir etwas Neues überlegt, aber lasst mich kurz ausschweifen.

Buchblogger*innen und Autor*innen arbeiten hart und lang, bis die Texte, die sie präsentieren so aussehen, wie sie am Ende aussehen. Sie müssen viel recherchieren, Leute ausfragen, immer wieder Notizen machen und daraus zusammenhängende Texte basteln, weiter recherchieren, Leute finden, die Lektorat oder Sensitivity Reading oder Korrektur oder Übersetzung oder Testlesung oder alles davon übernehmen. Denn kommen noch Bilder, Cover, Zeichnungen, Textlayout, Website-Hosting, Social Media Aktivität und Bilder und Texte dort dazu. Vielleicht sucht eins dann noch nach Kontakten zu Literaturagenturen, Verlagen, anderen Buchblogger*innen oder Autor*innen…

Alles sehr viel.

Aber schreiben soll doch in erster Linie Spaß machen, oder? Über schöne Dinge berichten, die gelesen wurden und eigene kreative Welten zeigen. Auch mal darüber reden, dass etwas gelesen wurde, was so gar nicht ging und überhaupt.

Verschiedene Wege zu lesen

Muss jetzt jede Person erstmal ein ganzes Buch von 500 Seiten gelesen haben, um über die Leseerfahrung zu berichten? Auch wenn ein 500-seitiges Buch für so manche Person wie ein Jahresabenteuer erscheint, was denn doch nie geschafft wird? Ich denke nicht. Ich kenne Leute, die ihre Leseerfahrungen quasi livetweeten. D.h., dass sie während des Lesevorgangs immer mal berichten an welcher Stelle sie jetzt sind und was sie aufregt oder wholesome finden. Konzentration und Löffel, um viel am Stück lesen zu können, sind bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich verteilt. Einigen Menschen hilft es, immer wieder zu unterbrechen und durch Gespräche zu verarbeiten, was gerade gelesen wurde. Ich finde dieses Vorgehen großartig!

Ich möchte gerne darüber reden, wie wir verschiedenen Wegen des Lesens auch Sichtbarkeit schenken können. Es gibt Lesegruppen, Leute, die ihre Leseerfahrung livetweeten, Hörbücher und -spiele, Lesungen, in denen Autor*innen selbst über ihre Texte reden und ein Stück vorlesen. Es gibt viel mehr Wege, mit Texten umzugehen, als nur durch das Zeile für Zeile, Seite für Seite durchlesen eines Buches, bei dem eins am Ende eh nie ankommen wird. Ich weiß, das ist plakativ. Es gibt einige Menschen, die Bücher auf diese Weise tatsächlich durchlesen – aber selbst die eben doch nicht alle Bücher, die sie gerne durchgelesen hätten, oder? – Ja, auch wieder plakativ. Ich saß schon vor Studierenden die mit großen Augen vor wissenschaftlichen Fachbüchern saßen und gefragt haben, wie sie die jemals durchlesen sollen.

Kann es vielleicht sein, dass Menschen unterschiedlich funktionieren und daher auch unterschiedliche Wege brauchen, um Texte zu lesen?

Ich würde gerne normalisieren, dass nicht jedes Buch bis zum Schluss gelesen sein muss bevor eins darüber reden kann. Die Diskussion mit Freund*innen nach Kapitel 1 kann doch genauso dafür sorgen, dass eins plötzlich motivierter ist, auch noch Kapitel 2 und 3 zu lesen. Vielleicht fängt Nachbarin Ana nach einem Gespräch über Kapitel 2 auch noch mit dem Buch an und denn kann gemeinsam über Kapitel 3 diskutiert werden und sich für die Mitte von Kapitel 4 zum Kaffee getroffen werden.

Als Teenager kurz vorm Schulabschluss haben wir uns bei einem Ausflug mit mehreren Übernachtungen abends zu viert in einem Zimmer getroffen und eine Person hat aus einem Buch vorgelesen, die anderen haben zugehört. Manchmal ging das Buch auch reihum. Nie hätte ich sonst mitbekommen, was die Geschichte in dem Buch gewesen wäre. Am Tag haben wir uns auch manchmal über die Geschichte unterhalten und am Abend ging es mit dem Vorlesen weiter. Die Inhalte von Texten können auf so viele verschiedene Wege zum Leben erweckt werden! Fanfiction-Stories können zu Texten geschrieben werden, durch die die Inhalte verarbeitet werden und die eigene Kreativität dafür sorgt, dass auch andere Identitäten in die Geschichte Einzug nehmen oder ein unbeliebtes Ende einen netten Ersatz bekommt.

Von berühmten Leuten und in Selbst-Optimierungskursen wird häufig davon geredet „Sie sollten xy Bücher im Monat lesen“ mit xy als eine konkrete Zahl. Klingt das danach, sich mit den Denkweisen anderer Menschen intensiv auseinanderzusetzen, oder klingt es eher danach, das Brutto-Inlandsprodukt mithilfe von Zahlen zu erhöhen? Dieser Vergleich ergibt übrigens am meisten Sinn, wenn man keine Ahnung von Wirtschaft hat. Ich möchte damit ein Gefühl beschreiben und keine wirtschaftlichen Vorgänge. Mit dieser Erklärung möchte ich auch vorbeugen, dass ich demnächst zwanzig Nachrichten bekomme, in denen mir erklärt wird, was das Brutto-Inlandsprodukt ist und dass mein Vergleich nicht klappt. Mir geht es darum, dass es einige Momente im Leben gibt, die sich nicht in Zahlen messen lassen können.

So, wir haben jetzt also darüber geredet, dass es diverse Wege gibt, Texte zu lesen, richtig? Gut. Nehmen wir einen roten Faden auf, den ich weiter oben zur Seite gelegt habe.

Über Leseerfahrungen beim Bloggen über Texte schreiben

Ich halte es für sinnvoll, sich auch während des Leseprozesses über Texte auszutauschen. Für mich geht es beim Lesen um eine Erfahrung, die gemacht wird. Denn lasst uns doch auch beim Bloggen über Erfahrungen austauschen, auch wenn ein Buch vielleicht noch nicht komplett durchgelesen wurde?

Achtung, ich meine damit nicht, dass vollständige Bewertungen für ein Buch anhand dessen erstellt werden sollen, was im ersten Kapitel eines Buches geschrieben wurde. Ich rede hier weder von Rezensionen auf Amazon oder anderen Verkaufsplattformen – die sind dafür da eine komplette Ware zu bewerten und anderen bei der Entscheidung zu helfen, ob sie die Ware kaufen sollen oder nicht. Wenn ich aber nur Kapitel 1 eines Buches kenne, kann ich nichts dazu sagen, ob sich der Rest des Buches auch lohnt.

Mir geht es darum, Leseerfahrungen zu teilen. Damit meine ich, dass zum Beispiel über eine Szene gesprochen werden kann, die besonders bewegend war. Oder über die Wut gesprochen wird, die von einer anderen Szene ausgelöst wurde. Vielleicht bringt ein Abschnitt in einem Sachbuch ja auch einen Gedankenanstoß für einen kleinen Ausflug in die Ausführungen zum Leben von Eichhörnchen im eigenen Garten?

Was ich damit auch nicht sagen möchte, ist, dass Lektor*innen, Sensitivity Reader, Verlage oder Testlesende nicht gebraucht werden. Wenn Texte veröffentlicht werden, tragen die Schreiber*innen auch eine Verantwortung. Blogartikel lassen sich natürlich etwas einfacher überarbeiten als gedruckte Bücher, die direkt mit einer Auflage von ein paar tausend Exemplaren verkauft werden, aber trotzdem muss sorgfältig bedacht werden, was geschrieben wird. Wir schreiben nicht in einem luftleeren Raum. Was wir schreiben hat einen Einfluss auf diejenigen, die unsere Texte lesen. Dieser Einfluss kann positiv sowie negativ sein. Aus meiner Sicht sollte aber der öffentliche Diskurs über Texte oder überhaupt das Erzählen von Geschichten nicht nur von denen geprägt werden, die diesen langen Weg des Lesens und Schreibens wie im ersten Absatz beschrieben, meistern. Sollten nur Texte über Bücher erlaubt sein, die über das gesamte Buch anstelle eines Abschnitts reden, denn wird es einige Stimmen geben, die nie gehört werden, weil sie das Buch einfach nie beendet bekommen haben. Genauso sollten auch Geschichten erzählt werden können, die eben nicht perfekten Anfang, perfektes Ende und perfekten Mittelteil haben, sondern eher ein kurzer Abschnitt sind, weil die schreibende Person sich vielleicht nicht mehr konzentrieren konnte.

Was letztendlich gelesen wird, das entscheiden Leser*innen selbst. Das ist klar. Ich möchte hier nur ein paar Ideen besprechen und darauf aufmerksam machen, was für Möglichkeiten ich sehe.

Über Erfahrungen reden: Vom Lernen von Sprachen und Lesen von Texten

Das meiste, was ich beschrieben habe, wird für die meisten hier nicht neu sein. Hörbücher gibt es nicht erst seit gestern und auch Lesegruppen sind keine Neuerfindung. Dieser Text soll auch kein „die ultimativen neuesten und besten Tipps zum Lesen“ sein. Mir geht es eher um Sichtbarkeit und darum zu besprechen, wie ich zu Texten und dem Lesen stehe. Von Freund*innen kenne ich Blogartikel zum Thema Sprachenlernen, in denen sie beschreiben, welche Sprache sie gerade lernen und welche Methoden sie dafür verwenden, wie ihr aktueller Stand gerade ist und was für Erfahrungen sie durch die Nutzung der Sprache machen konnten. In den Blogartikeln geht es darum, über eine Erfahrung mit einer Sprache zu sprechen und sich gegenseitig dazu zu motivieren am Ball zu bleiben oder den Ball wieder aufzunehmen, sollte er für eine Zeit zur Seite gelegt worden sein. Ich finde diesen Weg sehr schön! Außer natürlich, wenn es darin endet, dass wieder nur das bereits erwähnte Bruttoinlandsprodukt erhöht werden soll und ganz nebenbei Rassismus unreflektiert bedient wird.

Was ich eigentlich sagen möchte: Ich bin fasziniert von dem Gedanken, über Leseerfahrungen zu berichten und sich darüber auszutauschen, und aus dem Lesen eben kein To Do machen, das in Zahlen gemessen wird. Gleichzeitig sollten gewisse Überarbeitungen von Texten geschehen, damit die Chance singt, unreflektierte -ismen wiederzugeben. Sollte es dennoch zu Feedback kommen, das -istische Themen oder Ausdrücke anspricht, sollte dieses Feedback ernstgenommen und der Text überarbeitet werden.

Die Idee für Lese-Updates

Um jetzt zum ersten Satz dieses Texts zurückzukommen, in dem ich sagte, dass ich erstmal ausschweifen werde: Ich möchte in weiteren Blogartikeln über meine Leseerfahrungen berichten. Rezensionen zu Büchern, die quasi Kaufempfehlungen gleichen und ein vollständiges Werk besprechen, gibt es für viele Texte. Diese Art von Text halte ich auch für wichtig und ich werde sie auch weiterhin immer mal wieder benutzen, aber eben nicht nur. Auf die Idee bin ich dadurch gekommen, dass ich diese Woche zwei großartige Bücher begonnen habe zu lesen und bei mindestens einem davon aber gemerkt habe, dass meine Konzentration es nicht mitmachen wird, dass ich es schnell durchgelesen bekomme. Gleichzeitig habe ich im Moment aber auch keine Möglichkeit, Hörbücher zu diesen Büchern zu kaufen. Aus anderen Bereichen meines Lebens muss ich schon genügend andere Texte und Bücher im Stillen Kämmerlein ohne viel Kommunikation darüber lesen. Dort gibt es weder Hörfassungen noch viele Leute, die wirklich über die Texte reden wollen würden, außer sie können das Bruttoinlandsprodukt damit erhöhen – ja, ich hör bald mit dem Spruch auf. Deshalb würde ich gerne meinen Umgang mit diesen Büchern – die, über die ich mit euch hier sprechen möchte, anders gestalten.

Buchblogger*innen und Autor*innen

So, alle Fäden wurden wieder aufgegriffen und zu einem Ende zusammengeknotet. Jetzt fehlt aber noch eins. Es wird aufgefallen sein, dass ich im ersten längeren Absatz die Tätigkeiten von Buchblogger*innen und Autor*innen zusammengeworfen habe. In der Realität sind nicht alle Buchblogger*innen Autor*innen und andersrum. Im restlichen Teil dieses Artikels habe ich mich auf „das Schreiben und Austauschen über das Gelesene“ konzentriert. Das umfasst tendenziell eher das, was Buchblogger*innen machen, als das, was Autor*innen machen, obwohl letztere natürlich auch Texte lesen und darüber reden können. Besonders bei Fanfiction muss der Originaltext natürlich zumindest ein Stück weit gekannt werden und für Sachtexte, aber auch kreative Texte, wird Recherche betrieben. Wie zu sehen ist – die Aktivitäten sind miteinander verwoben. Es gibt aber auch Bereiche, die typisch für Autor*innen sind, die ich jetzt in einem weiteren Abschnitt thematisieren möchte.

Die meisten Autor*innen, die ich kenne, wachsen mit ihren Texten. D.h. sie sind nicht eines Tages aufgewacht und haben den perfekten 500-seitigen Text geschrieben, der direkt über ein großes Verlagshaus veröffentlich wurde und stilistisch einwandfrei und ohne inhaltliche Probleme war. So große Texte an solchen Orten veröffentlicht zu haben ist auch von den wenigsten Autor*innen, die ich persönlich kenne, das Ziel. Wenn wir auch kürzere Texte und Vorversionen bereits für ein Publikum zu lesen geben, könnte es sein, dass wir durch Unterhaltungen über Inhalte viel eher dazu motiviert werden, weiterzumachen oder wichtiges Feedback bekommen, das dazu führt, dass bestimmte Fehler überarbeitet und danach vermeidet werden können. Ich kenne Leser*innen, die keine zwanzigseitige Geschichte am Stück lesen können und ich kenne Schreiber*innen, denen das Schreiben einer zwanzigseitigen Geschichte zu lang wär. Kurzgeschichten und Kürzestgeschichten gibt es auch nicht erst seit gestern und ich liebe es, dass dies so ist. Mir geht es auch darum zu sagen „ein Text muss nicht perfekt sein, bevor er Leuten zum Lesen gegeben werden kann oder über die Geschichte gesprochen werden kann“. Gleichzeitig möchte ich aber auch wieder mit erhobenem Zeigefinger sagen, dass Autor*innen von Texten weiterhin eine Verantwortung tragen, nicht alles unreflektiert zu vervielfältigen und auf sinnvolles Feedback auch zu reagieren.

Ihr seht – ich bin kein Fan von Gatekeeping, habe aber auch im Hinterkopf, dass eine Menge unreflektierter menschenverachtender Mist in die Welt geblasen wird, die lieber nie geschrieben oder gesagt worden wäre. Wobei das auch bei Texten passieren kann, die durch Redaktionen und Lektorate gingen und jahrelang überarbeitet worden sind. Ich denke, dass in dieser Thematik das wichtigste ist, dass Schreiber*innen sich regelmäßig weiterbilden und mit anderen Leuten im Gespräch bleiben, also gerade mit denen, deren Lebensrealitäten damit zu tun haben, worüber es in den eigenen Texten auch gehen soll. Dass ich ein Fan von Sensitivity Readings bin, ist an dieser Stelle wohl kein Geheimnis mehr.

Die Fäden sind jetzt alle dort, wo sie liegen sollten – und das Bruttoinlandsprodukt ist dabei um keinen Millimeter gestiegen.