Merlin & Arthus

– Wie wir manchmal unterschiedliche Serien sehen, wenn es wirklich dieselbe ist

CN Cisheteronormativität Sexismus Rassismus

Das Thema für diesen Beitrag spricht etwas an, was wohl viele queere Leser*innen und Zuschauer*innen kennen. Wir sehen eine Serie, einen Film oder lesen ein Buch oder bekommen eine Geschichte über irgendeinen anderen Weg mit und haben das Gefühl, dass die Story nur so vor Queerness trieft. Dann gucken wir in Rezensionen oder in die Wikipedia-Zusammenfassung und Queerness wurde nicht in einem Wort erwähnt. Andere, queer oder nicht queer, sprechen vielleicht auch darüber, dass sie davon nichts mitbekommen haben bei der Geschichte. Meine Neurodivergenz sorgt zusätzlich noch dafür, dass ich Geschichten häufig etwas anders verarbeite. Das hat in der Schule und im Studium für mich auch schon dazu geführt, dass mir erzählt wurde, dass meine Interpretationen unlogisch seien oder etwas anderes gemeint wäre. Das ist die Schönheit daran, wenn man einen eigenen Blog hat und sich seine Interpretationen selbst zusammenschreiben kann (auch wenn das Imposter Syndrom gerade bei Interpretationen schon hart kickt). Aber zurück zum Thema: Es gibt viele Faktoren in unserem Leben, die beeinflussen, wie wir eine Geschichte verstehen. In der Literaturwissenschaft gibt es daher auch diverse Ansätze, Geschichten zu interpretieren. Es gibt feministische Lesarten, queere Lesarten, autobiographische Ansätze und vieles mehr.

Die Serie „Merlin – die neuen Abenteuer“

Nun habe ich vor einiger Zeit die Serie „Merlin – die neuen Abenteuer“ auf Netflix gesehen. Die gibt es in mehreren Sprachen, was ich ganz spannend fand. Es kommen viele Schimpfwörter vor, die man im Alltag wahrscheinlich eher selten hört. Gut, um das Schimpfwörter-Repertoire in anderen Sprachen aufzustocken! Die Serie basiert auf der Arthus-Legende. Es geht um den Zauberer Merlin und seinen König Arthus. Lancelot kommt vor, das berühmte Schwert im Stein kommt vor und viele andere Figuren und Szenen, die einem auch mit wenig Erinnerung an die Geschichten um die Arthus-Legende irgendwie bekannt vorkommen.

Ein paar Probleme der Serie

CN Rassismus, Sexismus

Beim Sehen der Serie sind mir einige Dinge aufgefallen. Zuallererst: Frauen und BIPoC scheinen keine oder nur eine geringe Rolle zu spielen und werden vermehrt für Rollen von den „Bösen“ eingesetzt. Gwen, die WoC ist, startet als Dienerin in die Serie. Sie wird häufig schlecht behandelt, bleibt aber dennoch treu und arbeitet sich hoch. Das vermittelt ein Bild, das auch mit dem Ritterzeit-Setting nicht mehr zu erklären ist. Auch an anderen Stellen bekam ich als Zuschauer*in das Gefühl, dass die Serie betonen wollte, dass Änderung nur von Innen und über Zeit möglich ist und dass zu großer Protest gegen den Status-Quo der Sache eher schaden würde. Das ist ein Weltbild, dem ich so nicht zustimmen möchte. Auch der Umgang mit Merlin, der über die längste Zeit der Serie als Diener agiert, ist nicht gut. Dies lässt sich Merlin aber gefallen. Beide, Gwen und Merlin, erklären immer wieder, dass die Dinge eben so seien und es ihre Aufgabe wäre. Aber wer davon abweicht, wird im Zweifelsfall auch von Gwen und Merlin bekämpft…

Eine heteronormative Geschichte im Vordergrund

Nun aber zur (nicht vorhandenen?) Queerness. In der Geschichte werden romantische Beziehungen nur zwischen Männern und Frauen dargestellt. Sexuelle Szenen gibt es (im kompletten Gegensatz zu z.B. Bridgerton) überhaupt nicht. Es wird offen auch nur von romantischer Liebe zwischen Frauen und Männern gesprochen. Die Beziehung zwischen Merlin und Arthus ist formal die zwischen Diener und seinem Herrn. Ab und zu sprechen Merlin und Arthus darüber, dass sie unter anderen Umständen Freunde sein könnten. Dass sie sich dennoch näherstehen als Diener und sein Herr, wird in einigen Szenen deutlich. Auch Arthus‘ Vater und Gwen sprechen mehrfach an, dass die Verbindung zwischen den beiden sehr stark zu sein scheint. Merlin erklärt dies bis zum Ende für „seine Aufgabe“. Manche Rezensionen sprechen an dieser Stelle von „brotherhood“ (Link 1). Es gibt auch eine Mentor-Mentee Beziehung zwischen Merlin und Gaius, dem Hofarzt, bei dem Merlin zu Beginn der Serie einzieht.

Eine queere Geschichte hinter dem Vorhang?

Auf einem zweiten Blick geht es um einen jungen Mann, der ein Geheimnis hat. Er kommt in eine neue Stadt, weil es zuhause auf dem Land Probleme gab, weil sein Geheimnis fast rausgekommen wäre. In der Stadt lebt er gefährlich, weil das Bekannt werden seines Geheimnisses ihm den Tod bringen würde, da darauf die Todesstrafe besteht. Er kommt bei einem Mann unter, der schon um einiges älter ist und den jungen Mann direkt durchschaut. Er erkennt sein Geheimnis sofort. Er war früher auch mal „so“, aber jetzt lebt er es nicht mehr aus. Das ist sicherer für ihn. Er bringt dem jungen Mann alles bei, was er zum Leben in der Stadt und zum Leben mit seinem Geheimnis braucht und gibt ihm Bücher zum Lesen. Eines Tages trifft der junge Mann auf einen anderen in ungefähr seinem Alter. Dieser ist arrogant, eingebildet, hält sich für den stärksten, beliebtesten und bestaussehendsten Kerl in der Gegend. Sie streiten und kämpfen. Weil der junge Mann, der neu in die Stadt kam, dem anderen aber irgendwann das Leben rettete, wird er zum Diener des anderen erklärt (als Belohnung?!), da der andere der Sohn des Königs ist. Der Diener kann dem Prinzen nicht die Wahrheit über sein Geheimnis sagen. Trotz allem beschützt er den Prinzen mit allem was er kann. Auch wenn er dafür nie Lob bekommt, da sonst sein Geheimnis rauskommen würde. Er bringt sich selbst mehrfach in Lebensgefahr für den Prinzen. Manchmal liegt er auch schweißgebadet im Bett und ruft seinen Namen (okay, das ist sehr aus dem Kontext gezogen!). Wenn der Prinz Dates hat, ist sein Diener immer dabei. Ständig sprechen Leute den Diener darauf an, dass er viel mehr tut, als was von ihm als Diener erwartet würde. Selbst seine eigene Mutter, der König, die Dates des Prinzen und alle anderen, die den beiden irgendwann über den Weg laufen. Auch der Prinz strengt sich mit der Zeit mehr an, seinen Diener am Leben und bei sich zu behalten, als es normal für Diener wäre. Auch dies wird vom König und von anderen Figuren immer wieder angesprochen.

Nun könnte das alles damit erklärt werden, dass die beiden ein hohes Pflichtbewusstsein haben. Merlin kennt einige Vorhersagen, die besagen, dass er bei Arthus bleiben muss, damit dieser später als König Veränderungen bringt. Arthus geht auch mit anderen Figuren in seinem Umfeld etwas besser um, als es andere Figuren erwarten würden. Und mit der Zeit wachsen auch Diener und Herr sich gegenseitig ans Herz, wenn sie Abenteuer miteinander erlebt haben. Und mit brotherhood lässt sich bestimmt auch einiges erklären.

Wir haben aber Szenen, in denen Merlin stöhnend und schweißgebadet im Bett liegt (ja, offiziell von einer Vergiftung) und Arthus‘ Namen ruft. Gleichzeitig sammelt Arthus für Merlin Blumen (ja, als Gegenmittel gegen die Vergiftung) und widersetzt sich damit dem König und wird dafür im Nachhinein vom König eingesperrt.

Alles was gezeigt wird, lässt sich mit einigen Sachen erklären. Aber wenn wir mit einer queeren Linse über die Geschichte gucken, merken wir, dass die Geschichte eine Menge queeres Material bietet. Während ich die Serie geguckt habe, habe ich Freunden, die die Serie nicht kannten, immer wieder Updates geschickt, was Neues extrem queeres passiert ist. Dabei habe ich die Szenen mit einer queeren Linse wiedergegeben. Wenn wir Magie als Metapher für Queerness nehmen und die Loyalität von Merlin zu Arthus unter romantischeren Gesichtspunkten sehen, entsteht eine komplette Lage neuer Interpretationen dazu, was in der Serie geschieht. Als ich halb durch die Serie durch war, habe ich mich gefragt, wann die beiden sich endlich die Liebe gestehen. Die Queerness zwischen den Zeilen war für mich so eindeutig, dass ich erwartet hatte, dass diese nicht nur zwischen den Zeilen angesprochen wird, sondern auch in den Zeilen zum Vorschein kommt. Das passierte so aber nie.

Und die Cis-Normativität?

Ich habe jetzt vor allem von Queerness im Sinne von Anzeichen für Romantik zwischen Merlin und Arthus gesprochen (und die interessante Mentoren-Dynamik mit Gaius in einem Zwischenpunkt erwähnt). Es gibt Szenen, in denen sich Merlin in eine Frau verwandelt und Kleider trägt. Es gibt auch eine Szene, in der es heißt, dass alle Männer angegriffen worden seien. Nur Gwen und Merlin sind verschont blieben. Gwen wunderte sich darüber, dass die beiden verschont geblieben waren. Merlin erklärte dies damit, dass nur Männer angegriffen worden waren. Gwen sprach an, dass Merlin aber ja auch verschont geblieben ist. Das winkte Merlin ab, weil er ihr den wahren Grund nicht nennen konnte. In der Geschichte wird dies damit erklärt, dass er wegen der Magie nicht angegriffen werden konnte. Wenn wir Magie aber mit Queerness verbinden, klingt das nach einer Szene, in der thematisiert wird, dass Merlin trans ist?

Viele mögliche Interpretationen

Von außen kann ich niemals einer Person attestieren, ob sie trans, schwul, bi, aromantisch oder genderfluid ist oder ein anderes queeres Label für die Person passt. Ob für eine Person queere Label passen und welches es sind, kann nur die Person sagen, um die es geht. Da wir bei einer Geschichte mit fiktiven Charakteren aber keine Identitäten in der Realität haben und es sich hier um Kunst handelt, die interpretiert werden darf, würde ich dieser Serie eine zweite Lage, die komplett mit Queerness gefüllt ist, attestieren. Da sexuelle Aktionen in der Serie kaum eine Rolle spielt, könnte Asexualität bei einigen Figuren eine Rolle spielen. Dies wird aber mit den üblichen Mitteln unsichtbar gemacht, zumindest, soweit ich das gesehen habe. Da keine offene romantische Anziehung zwischen Merlin und Arthus thematisiert wurde, kann es sich hier auch um einen Squish handeln oder eben wirklich einfach „um zwei sehr gute Freunde“. Dass Merlin nicht wie das Stereotyp Mann agiert, kann ihn auch einfach gender-nonconforming machen. Nicht jede Person, die den Geschlechtsstereotypen nicht entspricht, ist direkt trans.

Was machen wir daraus?

Aber diese Punkte sind eben auch das Ding, weshalb Queerness, die nur zwischen den Zeilen steht, so schwierig ist. Eine Person liest diese Interpretation vielleicht gar nicht raus. Eine andere Person argumentiert damit, dass nicht jede Person, die den Geschlechtsstereotypen nicht entspricht, trans ist. Das heißt, die Queerness, die man aus der Geschichte rauslesen kann, ist sehr instabil. Jeder Punkt lässt sich auch durch etwas anderes erklären. Queere Repräsentation braucht daher auch Geschichten, die nicht nur zwischen den Zeilen Queerness zeigen, sondern auch ganz offensichtlich ohne zweite Ebene und ohne doppelten Boden.

Wenn ich diese Serie sehe, sehe ich eine sehr queere Story. Manche Rezensionen (wie die verlinkte) zeigen mir aber auch, dass es andere Ansichten dazu gibt. Wenn ihr mögt, gebt mal „Merlin queer coding“ in eine Internetsuchmaschine ein… Die Serie existiert schon etwas länger, weshalb schon sehr viel dazu gesagt wurde. Auch die möglichen Wege, Queerness in die Geschichte zu interpretieren wurden an anderen Stellen viel intensiver besprochen. Mein Anliegen war es, diese Serie als Beispiel zu nehmen, um anzusprechen, dass es passieren kann, das zwei Personen dieselbe Geschichte hören können und zwei sehr unterschiedliche Stories davon mitnehmen.

Hier gibts eine Reddit-Diskussion darüber, ob es sich um Queerbaiting handelt: Reddit-Diskussion (Link 2). Es gibt auch Storylines, die lesbische Identitäten nahelegen. Über die lesbische Storyline haben andere schon geschrieben (Link 3). Aus meiner Sicht ist die lesbische Storyline subtiler. Es fällt auf, dass der alten Religion vor allem Frauen anhängen, die alle Magie ausüben. Es wird hier aber von der Queerness nochmal anders abgelenkt. Ein Symptom davon, dass Queerness bei Frauen eher unsichtbar gemacht wird.

Habt ihr die Serie gesehen? Wenn ja, wie habt ihr die Geschichte verstanden? Schreibt mir dazu gerne eine E-Mail an home@josefine-quell.de oder kontaktiert mich über Twitter!

Links:

Link 1: https://fellowshipandfairydust.com/2018/08/03/magic-brotherhood-and-destiny/

Link 2: https://www.reddit.com/r/merlinbbc/comments/owcca7/did_merlin_as_show_queer_bait/

Link 3: https://lesbian-morgana.tumblr.com/

Aromantische und asexuelle Identitäten greifbar und eben auch sichtbar gemacht

Rezension zum Buch „(un)sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ von Annika Baumgart und Katharina Kroschel

CN Unsichtbarkeit und Erasure von Aromantik und Asexualität (besonders bei Aromantik), Nennung von Diskriminierung, Pathologisierung, Vorurteilen und Klischees

(Hinweis: Anders als im Buch selbst, werden in dieser Rezension nicht alle Label und Begriffe erklärt. Hierfür würde ich das digitale Queer-Lexikon oder eben das Buch um das es geht, empfehlen. Dort werden alle wichtigen Begriffe sehr gut erklärt.)

Annika Baumgart und Katharina Kroschel schreiben über ihr eigenes Buch, dass es ein Einführungsbuch in die Thematik Aromantik und Asexualität sein soll und, dass es die Lesenden von verschiedenen Positionen abholen soll und diese dann gemeinsam durch die Inhalte des Buches führen soll. Ich muss sagen, dass dies sehr gut gelungen ist! Bevor ich aber darüberschreibe, wie meine Leseerfahrung mit diesem Buch war, möchte ich einmal über meinen Zugang zum Thema sprechen. Seit einiger Zeit weiß ich, dass ich ace bin und habe auch noch weitere queere Identitäten. Von einem Teil der besprochenen Themen bin ich also selbst direkt betroffen. Ich habe das Buch zur Zeit der Aromantic Spectrum Awareness Week gelesen, was ich ganz passend fand, weil ich durch das Buch viel über Aromantik gelernt habe, wozu ich zuvor noch nicht so viel wusste.

Nun aber zum Buch: Das Buch ist so aufgebaut, dass zu Beginn Definitionen zu den wichtigsten Begriffen besprochen werden. Es wird darauf eingegangen, dass die Label weit gefasst sind und auch Microlabel im demi- und gray-Bereich sind, darunterfallen. Es geht also um einen großen Schirm für viele mögliche Microlabel. Es wird auch betont, dass nur eine Person selbst über die Label entscheiden kann, die für einen genutzt werden. Das sorgt eben auch dafür, dass Grenzen zwischen Labeln verschwimmen können und bei unterschiedlichen Personen unterschiedlich aussehen können.

Diese Definitionen sind aus queerer Sicht wichtig, da normative patriarchale Systeme nur aufgebrochen werden können, wenn die Fremdzuweisung von Labeln gestoppt wird und Personen für sich selbst sprechen und entscheiden können. Auch haben mir die Definitionen nochmal die Augen geöffnet. Ich wusste, dass „keinen Sex haben“ und asexuell sein, nichts miteinander zu tun haben muss. Es kann sein, dass eine Person selten Interesse an sexuellen Handlungen hat oder einfach keine sexuelle Anziehung spürt. Dass von einem Spektrum gesprochen wird, zeigt, dass nicht jede Person mit demselben Label gleich fühlt oder handelt. Wenn ich selbst mich zum Beispiel beim Dating als ace oute, merke ich, dass nicht alle wissen, was das Konzept dahinter überhaupt ist. Auch werden im Buch einige Stereotype angesprochen und zerlegt. Damit fühlte ich mich gut abgeholt und hatte das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.

Zur Aromantik wurde genauso beschrieben, dass Handlung, Gefühl und Anziehung auch in diesem Bereich nicht zusammenhängen müssen und auch hier Phasenweise Veränderungen möglich sind. Und dies war etwas, was mir die Augen geöffnet hat. Ich weiß nicht, wie viele von euch eine feste Vorstellung davon haben, was beispielsweise Verliebtsein und romantische Liebe bedeuten oder was gemeint ist, wenn Paare in einer romantischen Beziehung sich gegenseitig sagen, dass sie sich lieben. Ich für meinen Teil hatte für diese Konzepte immer Schwierigkeiten diese in Worte zu fassen. Als Teenager habe ich mit Freund*innen darüber diskutiert, was denn letztendlich den Unterschied zwischen Freundschaft und Beziehung ausmacht – Achtung, hier geht es um Beziehungsweisen, die müssen per se nichts damit zu tun haben, ob Personen aromantisch oder asexuell sind oder nicht. Wir haben diese Dinge diskutiert, weil ich Gefühle, die ich bei bestimmten Freund*innen und romantischen Partner*innen nicht voneinander unterscheiden konnte, obwohl klar aufgeteilt war, mit wem ich befreundet und mit wem ich in einer romantischen Beziehung war. Vermutlich hatte ich romantische Gefühle einfach für mehr Personen als ich dachte. Ich denke, dass dieses Beispiel ganz gut zeigt, wie Beziehungsweisen und Gefühle und Anziehung voneinander abweichen können. Auf diese Abweichungen gehen die beiden im Buch auch sehr schön ein! Freundschaften, queerplatonische Beziehungen und romantische Beziehungen werden beispielsweise besprochen.

Im ganzen Buch sind Erzählungen von Personen verteilt, die unter die Schirmbegriffe aromantisch und/oder asexuell passen. Die Erzählungen zeigen, dass das Leben nicht so geradlinig ist, wie Bücher es manchmal scheinen lassen. Es gibt Ehen, in denen nach vielen Jahren erst auffällt, dass eine der beteiligten Personen asexuell ist. Es kommen auch Partnerschaften vor, in denen auf einmal rauskommt, dass beide auf dem aromantischen Spektrum sind.

In dem Buch wird die Geschichte der Konzepte Aromantik und Asexualität und besonders die Rolle des Internets und tumblr Blogs, um nur ein Beispiel zu nennen, weil mich dies immer besonders fasziniert, besprochen. Diskriminierung, Vorurteile, Unsichtbarmachung werden besprochen. Beziehungsarten werden durchgegangen und auch Intersektionalität, also die Verbindungen mit anderen Marginalisierungen wie beispielsweise anderen queeren Identitäten werden auch thematisiert und veraltete Ansätze aus der Wissenschaft werden angesprochen und auseinandergenommen.

Vor ein paar Jahren hatte ich mal „Bi: Notes for a Bisexual Revolution“ von Shiri Eisner (auf Englisch) gelesen. Dort ging es um bi Identitäten und deren Zusammenspiel mit anderen queeren Identitäten und auch deren Bedeutung im Kontext mit Diskriminierung und politischem Aktivismus. Während ich nun das Buch von Annika Baumgart und Katharina Kroschel las, musste ich einige Male an das Buch von Shiri Eisner denken. Zwischen den Themen der beiden Bücher gibt es natürlich Überlappungen. Personen können bisexuell und aromantisch sein oder auch aromantisch mit biromantischen Überlappungen. Auch die Geschichte der Pathologisierung von queeren Identitäten und die häufig zitierten Modelle wie die Kinsey Skala werden durch die Nähe der Themen in beiden Büchern besprochen. Gleichzeitig werden aber auch Unterschiede deutlich. Während Shiri Eisner für ein internationales Publikum auf Englisch schreibt und den Israel-Palästina-Konflikt direkt vor der Haustür hat und dies so auch in die Inhalte des Buches einfließen lässt, schreiben Annika Baumgart und Katharina Kroschel für ein deutschsprachiges Publikum und zeigen Ausschnitte der Lebensrealitäten von eben auch deutschsprachigen Betroffenen, was die Inhalte unterschiedlich prägt. Und der Fokus ist natürlich ein anderer. Inhaltlich macht es eben einen Unterschied aus, ob über Asexualität und Aromantik gesprochen wird oder über bi Identitäten.

Bei der Aromantic Spectrum Awareness Week ist ein wichtiger Aspekt, dass Aromantik nicht als kleines Anhängsel von Asexualität angesehen wird. Die Darstellung der Geschichte der beiden Konzepte in dem Buch zeigt, woher dieses Phänomen kommt, dass die beiden Begriffe teilweise so verschmolzen werden und die Eigenständigkeit des Labels Aromantik bis heute in einigen Kontexten infrage gestellt wird. Da das Buch beide Label bespricht, kann natürlich die Sorge bestehen, dass auch hier wieder die Eigenständigkeit der Aromantik nicht genügend gewürdigt wird. Dieses Problem wird im Buch selbst nicht nur bei der Besprechung der Geschichte, sondern auch bei den Abschnitten zur Diskriminierung besprochen. Beim Lesen bekam ich das Gefühl, dass gerade der Kontrast zwischen den beiden Konzepten hilfreich war. So wurde ich als lesende Person immer wieder darauf gestoßen, dass es wirklich wichtig ist, die beiden Konzepte nicht in einen Topf zu werfen. Gleichzeitig kann ich auch verstehen, wenn dies für einige nicht genügt und diese sich beispielsweise Material wünschen, dass Aromantik ohne Asexualität bespricht. Genauso wie in der Aromantic Spectrum Awareness Week eben nicht auch noch Awareness für Asexualität geschaffen wird.

In diesem Punkt möchte ich auch noch einmal auf das Buch zu bi Identitäten von Shiri Eisner zurückgehen. Shiri Eisner bespricht Bisexualität, Biromantik und politische bi Identitäten in verschiedenen Abschnitten. Das verbindende Element, „bi“, steht im Titel, aber eben auch „bisexual“ im Untertitel. Beim Vergleich dieses Titels mit dem Titel, der Aromantik und Asexualität nennt, fällt auf, dass dies eine andere Wirkung hat. Ich vermag an dieser Stelle nicht darüber zu urteilen, was das bedeutet oder wie dies auch mit Diskursen zu den Labeln zusammenhängen könnte. Letztendlich kann es auch Zufall sein, wobei „(un)sichtbar gemacht“ als Titel ja doch zeigt, dass der Fokus des Buches ist, unsichtbare Identitäten sichtbar zu machen. Letztendlich kann ich nicht sagen, welche Gedanken sich an dieser Stelle gemacht wurden. Aber ich muss sagen, dass ich den Titel des Buches großartig gewählt finde. Der direkte Vergleich mit dem Buchtitel von Shiri Eisner ist auch deswegen nicht unbedingt fair, da dieses Buch aus den Jahr 2013 stammt, also ca. zehn Jahre Diskurs zu solchen Begrifflichkeiten auch noch dazwischenstehen.

Ich persönlich würde das Buch jeder Person weiterempfehlen, die Basics zur Thematik lernen möchte oder sich auch nochmal Lesehinweise für vertiefte Lektüre suchen möchte. Da auch einiges Allgemeines zu verschiedenen queeren Identitäten gesagt wird, habe ich mir schon überlegt, ob ich das Buch nicht auch einfach Bekannten empfehle, die die Basics zu queeren Identitäten noch nicht kennengelernt haben und über die Bedeutung und den Umgang mit Labeln und Diskriminierung vielleicht mal etwas lesen möchten. Damit zeigt sich, dass das Buch tatsächlich ein sehr gutes Einführungsbuch ist. Als teilweise selbst betroffene Person habe ich noch einiges Neues gelernt – und mich mal wieder selbst hinterfragt – und gleichzeitig kann ich mir gut vorstellen, wie das Buch eben auch für Personen ganz ohne Vorwissen hilfreich sein kann.

Buch:

Kroschel, Katharina & Baumgart, Annika. 2022. (un)sichtbar gemacht: Perspektiven auf Aromantik und Asexualität. Münster: Edition Assemblage.

Weitere zitierte Werke:

Eisner, Shiri. 2013. Bi: Notes for a Bisexual Revolution. New York: Seal Press.

Kinsey, Alfred/ Pomeroy, Wardell/ Martin, Clyde. 1948. “The Kinsey Scale”, in: Sexual Behavior in the Human Male. (Mehr Informationen dazu: https://kinseyinstitute.org/research/publications/kinsey-scale.php).

Queer-Lexikon (o.J.), in: https://queer-lexikon.net/.