Vorwort zum Lese-Update #Leseerfahrungen

  • CN Vereinzelte Nennung von Rassismus , weiteren -ismen , Gatekeeping und indirekte Nennung von strukturellem Ableismus

Hallo!

Ich habe mir etwas Neues überlegt, aber lasst mich kurz ausschweifen.

Buchblogger*innen und Autor*innen arbeiten hart und lang, bis die Texte, die sie präsentieren so aussehen, wie sie am Ende aussehen. Sie müssen viel recherchieren, Leute ausfragen, immer wieder Notizen machen und daraus zusammenhängende Texte basteln, weiter recherchieren, Leute finden, die Lektorat oder Sensitivity Reading oder Korrektur oder Übersetzung oder Testlesung oder alles davon übernehmen. Denn kommen noch Bilder, Cover, Zeichnungen, Textlayout, Website-Hosting, Social Media Aktivität und Bilder und Texte dort dazu. Vielleicht sucht eins dann noch nach Kontakten zu Literaturagenturen, Verlagen, anderen Buchblogger*innen oder Autor*innen…

Alles sehr viel.

Aber schreiben soll doch in erster Linie Spaß machen, oder? Über schöne Dinge berichten, die gelesen wurden und eigene kreative Welten zeigen. Auch mal darüber reden, dass etwas gelesen wurde, was so gar nicht ging und überhaupt.

Verschiedene Wege zu lesen

Muss jetzt jede Person erstmal ein ganzes Buch von 500 Seiten gelesen haben, um über die Leseerfahrung zu berichten? Auch wenn ein 500-seitiges Buch für so manche Person wie ein Jahresabenteuer erscheint, was denn doch nie geschafft wird? Ich denke nicht. Ich kenne Leute, die ihre Leseerfahrungen quasi livetweeten. D.h., dass sie während des Lesevorgangs immer mal berichten an welcher Stelle sie jetzt sind und was sie aufregt oder wholesome finden. Konzentration und Löffel, um viel am Stück lesen zu können, sind bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich verteilt. Einigen Menschen hilft es, immer wieder zu unterbrechen und durch Gespräche zu verarbeiten, was gerade gelesen wurde. Ich finde dieses Vorgehen großartig!

Ich möchte gerne darüber reden, wie wir verschiedenen Wegen des Lesens auch Sichtbarkeit schenken können. Es gibt Lesegruppen, Leute, die ihre Leseerfahrung livetweeten, Hörbücher und -spiele, Lesungen, in denen Autor*innen selbst über ihre Texte reden und ein Stück vorlesen. Es gibt viel mehr Wege, mit Texten umzugehen, als nur durch das Zeile für Zeile, Seite für Seite durchlesen eines Buches, bei dem eins am Ende eh nie ankommen wird. Ich weiß, das ist plakativ. Es gibt einige Menschen, die Bücher auf diese Weise tatsächlich durchlesen – aber selbst die eben doch nicht alle Bücher, die sie gerne durchgelesen hätten, oder? – Ja, auch wieder plakativ. Ich saß schon vor Studierenden die mit großen Augen vor wissenschaftlichen Fachbüchern saßen und gefragt haben, wie sie die jemals durchlesen sollen.

Kann es vielleicht sein, dass Menschen unterschiedlich funktionieren und daher auch unterschiedliche Wege brauchen, um Texte zu lesen?

Ich würde gerne normalisieren, dass nicht jedes Buch bis zum Schluss gelesen sein muss bevor eins darüber reden kann. Die Diskussion mit Freund*innen nach Kapitel 1 kann doch genauso dafür sorgen, dass eins plötzlich motivierter ist, auch noch Kapitel 2 und 3 zu lesen. Vielleicht fängt Nachbarin Ana nach einem Gespräch über Kapitel 2 auch noch mit dem Buch an und denn kann gemeinsam über Kapitel 3 diskutiert werden und sich für die Mitte von Kapitel 4 zum Kaffee getroffen werden.

Als Teenager kurz vorm Schulabschluss haben wir uns bei einem Ausflug mit mehreren Übernachtungen abends zu viert in einem Zimmer getroffen und eine Person hat aus einem Buch vorgelesen, die anderen haben zugehört. Manchmal ging das Buch auch reihum. Nie hätte ich sonst mitbekommen, was die Geschichte in dem Buch gewesen wäre. Am Tag haben wir uns auch manchmal über die Geschichte unterhalten und am Abend ging es mit dem Vorlesen weiter. Die Inhalte von Texten können auf so viele verschiedene Wege zum Leben erweckt werden! Fanfiction-Stories können zu Texten geschrieben werden, durch die die Inhalte verarbeitet werden und die eigene Kreativität dafür sorgt, dass auch andere Identitäten in die Geschichte Einzug nehmen oder ein unbeliebtes Ende einen netten Ersatz bekommt.

Von berühmten Leuten und in Selbst-Optimierungskursen wird häufig davon geredet „Sie sollten xy Bücher im Monat lesen“ mit xy als eine konkrete Zahl. Klingt das danach, sich mit den Denkweisen anderer Menschen intensiv auseinanderzusetzen, oder klingt es eher danach, das Brutto-Inlandsprodukt mithilfe von Zahlen zu erhöhen? Dieser Vergleich ergibt übrigens am meisten Sinn, wenn man keine Ahnung von Wirtschaft hat. Ich möchte damit ein Gefühl beschreiben und keine wirtschaftlichen Vorgänge. Mit dieser Erklärung möchte ich auch vorbeugen, dass ich demnächst zwanzig Nachrichten bekomme, in denen mir erklärt wird, was das Brutto-Inlandsprodukt ist und dass mein Vergleich nicht klappt. Mir geht es darum, dass es einige Momente im Leben gibt, die sich nicht in Zahlen messen lassen können.

So, wir haben jetzt also darüber geredet, dass es diverse Wege gibt, Texte zu lesen, richtig? Gut. Nehmen wir einen roten Faden auf, den ich weiter oben zur Seite gelegt habe.

Über Leseerfahrungen beim Bloggen über Texte schreiben

Ich halte es für sinnvoll, sich auch während des Leseprozesses über Texte auszutauschen. Für mich geht es beim Lesen um eine Erfahrung, die gemacht wird. Denn lasst uns doch auch beim Bloggen über Erfahrungen austauschen, auch wenn ein Buch vielleicht noch nicht komplett durchgelesen wurde?

Achtung, ich meine damit nicht, dass vollständige Bewertungen für ein Buch anhand dessen erstellt werden sollen, was im ersten Kapitel eines Buches geschrieben wurde. Ich rede hier weder von Rezensionen auf Amazon oder anderen Verkaufsplattformen – die sind dafür da eine komplette Ware zu bewerten und anderen bei der Entscheidung zu helfen, ob sie die Ware kaufen sollen oder nicht. Wenn ich aber nur Kapitel 1 eines Buches kenne, kann ich nichts dazu sagen, ob sich der Rest des Buches auch lohnt.

Mir geht es darum, Leseerfahrungen zu teilen. Damit meine ich, dass zum Beispiel über eine Szene gesprochen werden kann, die besonders bewegend war. Oder über die Wut gesprochen wird, die von einer anderen Szene ausgelöst wurde. Vielleicht bringt ein Abschnitt in einem Sachbuch ja auch einen Gedankenanstoß für einen kleinen Ausflug in die Ausführungen zum Leben von Eichhörnchen im eigenen Garten?

Was ich damit auch nicht sagen möchte, ist, dass Lektor*innen, Sensitivity Reader, Verlage oder Testlesende nicht gebraucht werden. Wenn Texte veröffentlicht werden, tragen die Schreiber*innen auch eine Verantwortung. Blogartikel lassen sich natürlich etwas einfacher überarbeiten als gedruckte Bücher, die direkt mit einer Auflage von ein paar tausend Exemplaren verkauft werden, aber trotzdem muss sorgfältig bedacht werden, was geschrieben wird. Wir schreiben nicht in einem luftleeren Raum. Was wir schreiben hat einen Einfluss auf diejenigen, die unsere Texte lesen. Dieser Einfluss kann positiv sowie negativ sein. Aus meiner Sicht sollte aber der öffentliche Diskurs über Texte oder überhaupt das Erzählen von Geschichten nicht nur von denen geprägt werden, die diesen langen Weg des Lesens und Schreibens wie im ersten Absatz beschrieben, meistern. Sollten nur Texte über Bücher erlaubt sein, die über das gesamte Buch anstelle eines Abschnitts reden, denn wird es einige Stimmen geben, die nie gehört werden, weil sie das Buch einfach nie beendet bekommen haben. Genauso sollten auch Geschichten erzählt werden können, die eben nicht perfekten Anfang, perfektes Ende und perfekten Mittelteil haben, sondern eher ein kurzer Abschnitt sind, weil die schreibende Person sich vielleicht nicht mehr konzentrieren konnte.

Was letztendlich gelesen wird, das entscheiden Leser*innen selbst. Das ist klar. Ich möchte hier nur ein paar Ideen besprechen und darauf aufmerksam machen, was für Möglichkeiten ich sehe.

Über Erfahrungen reden: Vom Lernen von Sprachen und Lesen von Texten

Das meiste, was ich beschrieben habe, wird für die meisten hier nicht neu sein. Hörbücher gibt es nicht erst seit gestern und auch Lesegruppen sind keine Neuerfindung. Dieser Text soll auch kein „die ultimativen neuesten und besten Tipps zum Lesen“ sein. Mir geht es eher um Sichtbarkeit und darum zu besprechen, wie ich zu Texten und dem Lesen stehe. Von Freund*innen kenne ich Blogartikel zum Thema Sprachenlernen, in denen sie beschreiben, welche Sprache sie gerade lernen und welche Methoden sie dafür verwenden, wie ihr aktueller Stand gerade ist und was für Erfahrungen sie durch die Nutzung der Sprache machen konnten. In den Blogartikeln geht es darum, über eine Erfahrung mit einer Sprache zu sprechen und sich gegenseitig dazu zu motivieren am Ball zu bleiben oder den Ball wieder aufzunehmen, sollte er für eine Zeit zur Seite gelegt worden sein. Ich finde diesen Weg sehr schön! Außer natürlich, wenn es darin endet, dass wieder nur das bereits erwähnte Bruttoinlandsprodukt erhöht werden soll und ganz nebenbei Rassismus unreflektiert bedient wird.

Was ich eigentlich sagen möchte: Ich bin fasziniert von dem Gedanken, über Leseerfahrungen zu berichten und sich darüber auszutauschen, und aus dem Lesen eben kein To Do machen, das in Zahlen gemessen wird. Gleichzeitig sollten gewisse Überarbeitungen von Texten geschehen, damit die Chance singt, unreflektierte -ismen wiederzugeben. Sollte es dennoch zu Feedback kommen, das -istische Themen oder Ausdrücke anspricht, sollte dieses Feedback ernstgenommen und der Text überarbeitet werden.

Die Idee für Lese-Updates

Um jetzt zum ersten Satz dieses Texts zurückzukommen, in dem ich sagte, dass ich erstmal ausschweifen werde: Ich möchte in weiteren Blogartikeln über meine Leseerfahrungen berichten. Rezensionen zu Büchern, die quasi Kaufempfehlungen gleichen und ein vollständiges Werk besprechen, gibt es für viele Texte. Diese Art von Text halte ich auch für wichtig und ich werde sie auch weiterhin immer mal wieder benutzen, aber eben nicht nur. Auf die Idee bin ich dadurch gekommen, dass ich diese Woche zwei großartige Bücher begonnen habe zu lesen und bei mindestens einem davon aber gemerkt habe, dass meine Konzentration es nicht mitmachen wird, dass ich es schnell durchgelesen bekomme. Gleichzeitig habe ich im Moment aber auch keine Möglichkeit, Hörbücher zu diesen Büchern zu kaufen. Aus anderen Bereichen meines Lebens muss ich schon genügend andere Texte und Bücher im Stillen Kämmerlein ohne viel Kommunikation darüber lesen. Dort gibt es weder Hörfassungen noch viele Leute, die wirklich über die Texte reden wollen würden, außer sie können das Bruttoinlandsprodukt damit erhöhen – ja, ich hör bald mit dem Spruch auf. Deshalb würde ich gerne meinen Umgang mit diesen Büchern – die, über die ich mit euch hier sprechen möchte, anders gestalten.

Buchblogger*innen und Autor*innen

So, alle Fäden wurden wieder aufgegriffen und zu einem Ende zusammengeknotet. Jetzt fehlt aber noch eins. Es wird aufgefallen sein, dass ich im ersten längeren Absatz die Tätigkeiten von Buchblogger*innen und Autor*innen zusammengeworfen habe. In der Realität sind nicht alle Buchblogger*innen Autor*innen und andersrum. Im restlichen Teil dieses Artikels habe ich mich auf „das Schreiben und Austauschen über das Gelesene“ konzentriert. Das umfasst tendenziell eher das, was Buchblogger*innen machen, als das, was Autor*innen machen, obwohl letztere natürlich auch Texte lesen und darüber reden können. Besonders bei Fanfiction muss der Originaltext natürlich zumindest ein Stück weit gekannt werden und für Sachtexte, aber auch kreative Texte, wird Recherche betrieben. Wie zu sehen ist – die Aktivitäten sind miteinander verwoben. Es gibt aber auch Bereiche, die typisch für Autor*innen sind, die ich jetzt in einem weiteren Abschnitt thematisieren möchte.

Die meisten Autor*innen, die ich kenne, wachsen mit ihren Texten. D.h. sie sind nicht eines Tages aufgewacht und haben den perfekten 500-seitigen Text geschrieben, der direkt über ein großes Verlagshaus veröffentlich wurde und stilistisch einwandfrei und ohne inhaltliche Probleme war. So große Texte an solchen Orten veröffentlicht zu haben ist auch von den wenigsten Autor*innen, die ich persönlich kenne, das Ziel. Wenn wir auch kürzere Texte und Vorversionen bereits für ein Publikum zu lesen geben, könnte es sein, dass wir durch Unterhaltungen über Inhalte viel eher dazu motiviert werden, weiterzumachen oder wichtiges Feedback bekommen, das dazu führt, dass bestimmte Fehler überarbeitet und danach vermeidet werden können. Ich kenne Leser*innen, die keine zwanzigseitige Geschichte am Stück lesen können und ich kenne Schreiber*innen, denen das Schreiben einer zwanzigseitigen Geschichte zu lang wär. Kurzgeschichten und Kürzestgeschichten gibt es auch nicht erst seit gestern und ich liebe es, dass dies so ist. Mir geht es auch darum zu sagen „ein Text muss nicht perfekt sein, bevor er Leuten zum Lesen gegeben werden kann oder über die Geschichte gesprochen werden kann“. Gleichzeitig möchte ich aber auch wieder mit erhobenem Zeigefinger sagen, dass Autor*innen von Texten weiterhin eine Verantwortung tragen, nicht alles unreflektiert zu vervielfältigen und auf sinnvolles Feedback auch zu reagieren.

Ihr seht – ich bin kein Fan von Gatekeeping, habe aber auch im Hinterkopf, dass eine Menge unreflektierter menschenverachtender Mist in die Welt geblasen wird, die lieber nie geschrieben oder gesagt worden wäre. Wobei das auch bei Texten passieren kann, die durch Redaktionen und Lektorate gingen und jahrelang überarbeitet worden sind. Ich denke, dass in dieser Thematik das wichtigste ist, dass Schreiber*innen sich regelmäßig weiterbilden und mit anderen Leuten im Gespräch bleiben, also gerade mit denen, deren Lebensrealitäten damit zu tun haben, worüber es in den eigenen Texten auch gehen soll. Dass ich ein Fan von Sensitivity Readings bin, ist an dieser Stelle wohl kein Geheimnis mehr.

Die Fäden sind jetzt alle dort, wo sie liegen sollten – und das Bruttoinlandsprodukt ist dabei um keinen Millimeter gestiegen.

Schnipsel #2 – Die Bücher aus dem letzten Regal

#FloAufKlo reflektiert über den Tag. Eine kleine Enttäuschung hängt damit zusammen, aber auch das angenehme Glück, Kontakt zu Menschen zu haben, die ey nahe stehen.

CN Einsamkeit Pandemie Herzschmerz

Liebe ist nicht fair, dachte Flo. Nur weil ey sich jetzt Gefühle für eine Person bewusst geworden war, bedeutete das natürlich noch lange nicht, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte. Das wusste Flo und verstand es auch, aber fair fühlte es sich trotzdem nicht an.

Anastasia hatte sich gefreut, dass Flo sich mal wieder gemeldet hatte. Kontakt während der Pandemie war immer schwierig. Besonders wenn es schon Tag 769 war. Im Gespräch hatte Anastasia aber auch erwähnt, dass sie aktuell keinen Sinn daran erkannte, warum Menschen überhaupt Beziehungen hatten. Sie fand es gut, dass sie Menschen endlich mal etwas auf Abstand halten konnte. So hatte Flo sich das nicht vorgestellt. Es war trotzdem ein schönes Gespräch. Anastasia hatte davon berichtet, dass sie eine Umschulung gestartet hatte. Sie arbeitete nun in einer Bibliothek. Sie berichtete, dass dort kaum Menschen vorbeikamen. Ihre Kolleg*innen hatten wohl davon erzählt, dass früher öfter mal Leute in den Bibliotheksräumen eingeschlafen waren, aber seit der Pandemie kamen diese Leute gar nicht mehr vorbei. 

Flo wusste, wie sehr Anastasia Bücher liebte und freute sich für sie, dass sie nun mehr Zeit mit Büchern verbringen konnte. 

„Aber an einem Tag hatte ich doch mal was in den Räumen gehört“, erzählte Anastasia. Es war an einem Freitagabend kurz vor der Schließung gewesen. Draußen war es bereits dunkel – es war auch tagsüber schon dunkel, dachte sich Flo – und Anastasia beantwortete E-Mails zur Verlängerung von Ausleihungen. Sie sah auf, sah aber nichts. Weil sie sonst allein war, stellte sie den Computer auf Stand-By und stand auf. Sie sah in der Schreibecke nach, aber dort saß niemand. Sie erinnerte sich, dass da aber noch zwei Leute in den Räumen sein müssten. Also ging sie weiter und bewegte sich durch die Regale. Am vorderen Ende standen die Kinderbücher. Wenn Familien mit ihren Kindern hier ankamen, konnte Anastasia die Kinder immer noch vorne an ihrem Arbeitsplatz lautstark hören. Sie mochte das. Dahinter waren Romane zu finden. Wenn Eltern sich noch fix Unterhaltung für sich selbst schnappen wollten, aber die Kinder nicht allein lassen wollten, konnten sie dies hier tun. Ein paar Regale weiter befanden sich die Regale mit den Hobbybüchern. Da hatte Anastasia schon großartige Kochbücher und Programmierbücher gefunden. Anastasia erzählte mit strahlender Stimme, dass sie gerade dabei war, ein eigenes Programm für das Bibliothekssystem zu schreiben. Auch an den Hobbybüchern ging Anastasia vorbei. Die Geräusche wurden lauter, schmatzend. Anastasia fragte sich, ob sie sich das vielleicht nur einbildete? War es vielleicht ein Plätschern? Über den Bibliotheksräumen verliefen Wasserrohre und ihre Vorgesetzte hatte sowieso schon Panik, dass das irgendwann zu einem Wasserschaden bei den Büchern sorgen würde! Also ging Anastasia weiter. Wenn es ein Wasserschaden war, musste sie schnell handeln! 

In der letzten Reihe befanden sich alte Chroniken. Anastasia hatte sich mal den Spaß gemacht, und in eine Chronik reingesehen. Es waren alte Aufzeichnungen zum Bau des Stadtteils, in dem die Bibliothek aufzufinden war. Unter den Ausleihungen waren diese Bücher nie zu finden und auch bei den Rückgabestapeln in den Räumen selbst hatte sie diese Chroniken nie angefunden. Es war sehr unwahrscheinlich, dass noch jemand mit diesen Büchern arbeitete. Aber das Geräusch wurde wieder lauter. Es klang wirklich nach einem Schmatzen! Bevor sie ins letzte Regal abbog, räusperte sie sich. Sollte sie das auffinden, was sie befürchtete, denn wollte sie einen Moment Vorwarnungszeit geben. Sie hörte Stimmen flüstern.

„Oh shit!“, raunte die erste Stimme.

„Wer guckt denn hier in der letzten Reihe nach?!“, fragte eine andere Stimme.

„Was sind das hier überhaupt für Bücher?“, fragte die erste Stimme.

„Das sind alte Chroniken aus dem Stadtteil“, antwortete Anastasia. Sie wartete hinter dem Regal, bis die beiden Personen rauskamen, zu denen die Stimmen gehörten.

„Entschuldigung“, murmelten sie. Eine der beiden Personen hatte sich tatsächlich eines der Bücher aus dem letzten Regal genommen und wollte sich dieses denn später auch ausleihen. Anastasia erzählte, dass es für sie das erste Mal war, dass tatsächlich jemand eines der Bücher aus dem letzten Regal in der Bibliothek ausgeliehen hatte. 

Flo gefiel die Geschichte. „Ob ich mal eines der Bücher aus dem letzten Regal ansehen kann?“, fragte ey. 

„Ja“, sagte Anastasia. 

Das Gespräch zwischen den beiden ging im Guten auseinander und doch verlief es nicht so, wie Flo es gehofft hatte. Sie waren dabei verblieben, demnächst wieder miteinander zu reden. Es gab also immerhin etwas, worauf Flo sich freuen konnte.

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Ja, ich habe mich dazu verleiten lassen, den Hashtag #FloAufKlo zu benutzen. Wer hätte es gedacht? Der Hashtag war zuvor noch nicht auf Twitter in Benutzung! Lasst uns doch den Hashtag gemeinsam zum Leben erwecken!

Schnipsel #1: Tag 768 und trotzdem vielleicht ein Lächeln auf den Lippen

CN Einsamkeit Pandemie unglücklich

Flo lag auf ehrm Bett. Es war Tag 768 an dem draußen nichts los war, weil immer noch Pandemie war. Natürlich gab es auch mal Tage, an denen Flo sich wieder mit Freund*innen treffen konnte, aber so richtig oft war das nicht. Flo träumte. 

Es gab eine Zeit in ehrm Leben, da war Flo glücklich. Es war schon etwas her, mindestens 769 Tage. Flo hatte eine Freundin, die ey seitdem leider nicht mehr treffen konnte. Ihr Name war Anastasia. Sie lebte in Frankfurt am Main, während Flo in Bremen war. Früher hatten sie sich jeden Tag gesehen, aber das war schon wesentlich länger her. 

Anastasia wusste früher alles über mich, dachte ey. Aber jetzt erinnerte ey sich nicht mal mehr an den letzten Kontakt mit Anastasia. Ob ey sie mal anschreiben sollte? Was sie wohl gerade tat?

Flo erinnerte sich an einen Liebesfilm vom letzten Abend. Es ging darum, dass ein Typ nach einem Date gesucht hatte, nichts weiter als die Liebe seines Lebens, und dabei Personen begegnet war, die wirklich nicht mit ihm harmonierten. Nach jedem Date war er zu seinem Kumpel gegangen und hatte sich ausgekotzt über die schlechten Dates. Sein Kumpel hatte jedes Mal ruhig zugehört, ihm Rat gegeben und manchmal sogar für ihn Klamotten oder kleine Geschenke gekauft, damit der diese für die Dates nutzen konnte.

Eines Tages fragte die Schwester des Kerls ihn, ob er mal daran gedacht hatte eine Person zu daten, mit der er eh gut klarkam. Also eine Person, mit der er sich gerne umgab, die ihn zum Lachen brachte und ihn das Unglück der Welt vergessen ließ. Erst verstand er nicht, was sie damit meinte und ging wieder zum nächsten Date.

An diesem Abend kam er – mal wieder nach einem schlechten Date – nachhause und sah seinen Kumpel auf dem Sofa sitzen. Er schaute gerade einen Film, den die beiden sicherlich schon etliche Male miteinander gesehen hatten und den er trotzdem oder eben gerade deshalb liebte. Sein Kumpel schaute über die Sofalehne zu ihm rüber und grinste, auch er musste grinsen. Er merkte, dass er den ganzen Tag noch nicht gegrinst hatte. Erst jetzt grinste er wieder. 

Danach war Flos Internet abgeschmiert. Vermutlich war es so besser, dachte sich Flo. So konnten die Produzierenden das Ende des Filmes wenigstens nicht versauen und Flo konnte sich ein passendes Ende selbst ausmalen. Aber was bedeutete der Film für em? Gab es eine Person in ehrm Leben, die em zum Lachen brachte? Mit der ey sich gerne umgab? 

Ja natürlich, dachte Flo. Natürlich gab es die Person. Anastasia war diese Person. Vielleicht war es tatsächlich Zeit, sich mal bei Anastasia zu melden…

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Hallo liebe Leser*innen! Ihr seid hier gerade meinem ersten Schnipsel begegnet. Schnipsel sind kleine Minigeschichten, die ich auf meiner Webseite veröffentliche. Falls ihr neugierig seid, wie es Flo mittlerweile geht … don’t wait for me! 

Ich habe gerade überlegt, ob es sinnvoll wäre, hier einen Hashtag einzuführen, unter dem über die Minigeschichten getweetet werden könnte. Es könnte beispielsweise ein eigenes Ende gepostet werden. Bevor ich mich gerade aber überhaupt dafür entscheiden konnte, dies als Aktion tatsächlich zu bewerben, fiel mir ein Hashtag quasi in den Schoß: #FloAufKlo. Ob ich den ersten Satz des Schnipsels doch nochmal abändern sollte…?

Meine Pronomen

– ey/em/ehr Neopronomen

Hallo! Wie ihr schon zu Beginn auf meiner Homepage und vielleicht auch schon auf meinem Twitter-Account gesehen habt, verwende ich verschiedene Pronomen. Je nachdem wo ihr nachseht, findet ihr unterschiedliche Angaben, was tatsächlich vor allem an der Sprache liegt. Für’s Englische gebe ich meistens they/she an und für’s Deutsche gibt’s ey/sie.

Hier könnt ihr euch einmal eine von mir selbstgemacht Tabelle zu den ey/em/ehr Neopronomen ansehen. Falls ihr dazu Fragen habt, sagt gerne Bescheid.

PersonalpronomenPossessivaRelativ-pronomen
SingularPlural
NominativEy ist eine nicht-binäre Person.Ehr Katze ist ziemlich süß.
Ehr Hund ist auch sehr süß.
Ehr Haus ist ziemlich klein. 
ehr Katzen/
Hunden/
Häusern
dey
AkkusativIch mag em.Ich mag ehr Katze.
Ich mag ehrn Hund auch sehr.
Ich mag ehr Haus, gerade weil es recht klein ist.
ehr Katzen/ Hunde/ Häuserdäm
DativIch kaufe em eine Katze und helfe em beim Füttern.Ich helfe ehr Katze.
Ich male ehrm Hund ein Bild.
Ich kaufe ehrm Haus einen Küchentisch.
ehrn Katzen/ Hunden/ Häuserndäm
GenitivDie Katze gehört ehr.
Der Kratzbaum gehört ehr Katze.
Die Hundehütte gehört ehrm Hund.
Die Garage gehört ehrm Haus.
ehrn Katzen/ Hunden/ Häuserndän
ey/em/ehr Neopronomen: Personalpronomen, Possessive und Relativpronomen.

Mit diesen Formen weicht mein ey/em/ehr von dem ey/em ab, welches im Nibi-Space (Link 1 nibi.space) bereits auffindbar ist. But I guess that’s the beauty of Neopronomen… 🙂

Ihr dürft diese Neopronomen auch gerne für euch selbst oder für Figuren aus eurer kreativen Arbeit verwenden. Kirby Conrod empfiehlt in their Blog (Link 2 Blog Kirby Conrod) zum Beispiel, über Figuren mit Neopronomen zu schreiben, um diese zu üben und so die Neopronomen in den eigenen normalen Sprachgebrauch einzubauen, wenn dies beispielsweise nicht mit dem Umfeld gut zu üben wäre.

Falls du dich mehr über die Nutzung von gendersensiblen Pronomen informieren möchtest, empfehle ich die beiden Links, die ich im Fließtext bereits verlinkt habe, die du aber auch nochmal am Ende des Textes finden kannst. Der Nibi-Space ist deutschsprachig, der Blog von Kirby Conrod ist englischsprachig.

Danke für’s Lesen! Teilt gerne mit mir auf Twitter (Link 3 Twitter.com Josefine Quell), wenn ihr Neopronomen für euch oder andere verwendet und wie das denn in Aktion aussieht!

Quellen:

  1. Nibi Space: „ey/em“ in: Pronomen. https://nibi.space/pronomen#eyem (letzter Zugriff 13.01.2021)..
  2. Conrod, Kirby (2020): „pronouns 102: how to stop messing up pronouns“.: https://kconrod.medium.com/pronouns-102-how-to-stop-messing-up-pronouns-9bd66911118 (letzter Zugang: 13.01.2021).
  3. Twitter-Account Josefine Quell: https://twitter.com/JosefineQuell.

Eine wichtige Stimme, die gehört werden muss: Jasmina Kuhnke – „Schwarzes Herz“

CN: Trauma Gewalt Rassismus Misogynie Klassismus

Eine wichtige Stimme, die gehört werden muss. In dem Buch „Schwarzes Herz“ geht es um die Folgen von Rassismus und Misogynie. Es geht darum, wie körperliche und psychische Gewalt das Leben der Schwarzen Ich-Erzählerin begleitet. Es geht um ihre Kindheit, ihre Jugend und die die ersten Jahre nach der Geburt der zwei Kinder, die aus einer gewaltvollen Partnerschaft stammen. 

Im Buch wird häufig zwischen den Lebensabschnitten der Erzählerin gesprungen, von Erlebnissen der Kindheit, wo ihr Stiefvater rassistische Sprache verwendet, um über sie zu sprechen, zu Erlebnissen des Erwachsenenlebens, wo sie den späteren Vater der beiden Kinder, die im Buch vorkommen, kennenlernt, dessen Gewalt ihr gegenüber in weiteren Abschnitten geschildert wird. 

In vielen Geschichten machen mich zu viele Zeitsprünge nervös. Ich komm nicht mehr hinterher, was passiert, wo wir uns in der Geschichte befinden, und möchte die Geschehnisse lieber in der chronologischen Reihenfolge hören. Nach meiner Erfahrung, die nicht mit der Geschichte der Erzählerin vergleichbar ist, funktionieren Erinnerungen, besonders die an extrem negative Erfahrungen, wie psychischen Terror und körperliche Gewalt, so nicht. 

Eins bewegt sich selten chronologisch durch die traumatischen Erinnerungen, die traumatischen Bilder kommen und gehen. Den Erinnerungen ist es egal, dass es Zeitsprünge von Jahrzehnten gibt. Ich weiß nicht, was sich die Autorin dabei gedacht hat, den Text so anzuordnen. Was ich weiß, ist aber, dass mich die Anordnung des Textes daran erinnert hat, wie traumatische Bilder bei mir selbst kommen und gehen. Daher finde ich die Anordnung der Szenen sehr passend gewählt. Zeitsprünge sorgen beim Lesen eines neuen Abschnittes bei mir als lesende Person häufiger für Orientierungslosigkeit. Das Erleben von traumatischen Erfahrungen tut dies auch. Trotz allem wurde dieses Stilmittel so bewusst gewählt, dass die Erzählerin mich im Lesefluss nicht abgehängt hat. Ich konnte ihr folgen. 

Es handelt sich bei der Stimme der Erzählerin um eine wichtige Stimme, da sie ausspricht, was wohl viele, die mit Rassismus und Frauenfeindlichkeit konfrontiert werden, denken. Das Buch gibt denen, die nicht laut werden können, eine Stimme. Das Buch gibt denen, die ähnliche Gedanken und Erfahrungen haben das Gefühl, nicht die einzigen zu sein, denen es so geht. Das Buch zeigt auch, dass es nicht die Überlebenden von Gewalt sind, die an dem, was sie erlebt haben, schuld sind, sondern diejenigen, die die Gewalt ausüben. 

Der gesellschaftliche Kontext des Buches spielt auch eine wichtige Rolle. Während Jasmina Kuhnke noch an dem Buch schrieb, musste sie mit ihrer Familie umziehen, weil es Morddrohungen von Rechtsradikalen gegen sie gab und ihre Adresse öffentlich gemacht wurde. Aus Sicherheitsgründen kann die Autorin ihr Buch nicht bei Lesungen auf einer Buchtour promoten. Auch ein unangekündigter Überraschungsauftritt bei der Frankfurter Buchmesse musste von ihr abgesagt werden, weil die Organisator*innen der Buchmesse es nicht einsahen, die Sicherheit von Jasmina Kuhnke und anderen Autor*innen of Color zu gewährleisten und lieber rechtsradikalen Buchverlagen Platz für ihre Stände zu geben, dessen Angehörigen zum Teil auch mit Drohungen gegen die Autorin zusammenhängen. 

Der Inhalt des Buches zeigt, was passiert, wenn eins still bleibt. Der gesellschaftliche Kontext zur Veröffentlichung des Buches zeigt, was passiert, wenn eins sich engagiert, sich äußert und Betroffenen eine Stimme gibt. 

Die Sprache des Buches zeigt, dass sich die Autorin nicht verstellt, nur weil Kritiker*innen eine ganz bestimmte Sprache erwarten, in der fuck nicht vorkäme, rassistische Ausdrücke aber unkommentiert ausgeschrieben werden können. Rassistische Begriffe, die durch Zitate auftauchen, wurden mit Sternen zensiert. In dem Buch wurde entgendert, wenn es um die anonyme Masse von z.B. Mitschüler*innen und Lehrenden ging und es wurde ein Sensitivity Reading durchgeführt, was es bei vielen anderen Publikationen so sonst häufig noch nicht gibt. Es gibt auch Hinweise am Buchanfang und Buchende, die die Lesenden darauf aufmerksam machen sollen, dass der Inhalt retraumatisierend wirken kann und es gibt eine Aufzählung von Themen, die vorkommen, so dass sich Lesende überlegen können, ob sie das Buch tatsächlich lesen wollen, auch wenn z.B. rassistische Sprache und Gewaltdarstellungen vorkommen. Es wird also deutlich, es wurden sich Gedanken gemacht. Es wurden sich Gedanken gemacht, wie verschiedene marginalisierte Gruppen auf den Text reagieren würden und es wurde nicht die Sprache der Mehrheitsgesellschaft und des Patriarchats übernommen. 

Aus meiner Sicht ist dieses Buch eines der wichtigsten Bücher, die ich bisher gelesen habe. Es zeigt, was das Leben in unserer Gesellschaft für diejenigen bereithält, die nicht so privilegiert aufwachsen und regelmäßig mit Rassismus und Misogynie konfrontiert werden. Es zeigt, was an der Oberfläche unserer Gesellschaft beinahe komplett unsichtbar gemacht wird und trotzdem da ist und das Leben vieler Menschen prägt. Das Buch gibt aber auch Hoffnung und für diese Hoffnung möchte ich Jasmina Kuhnke danken.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass diese Rezension von einer weißen Person geschrieben wurde. Bei den Darstellungen der Bezeichnungen weißer und Schwarzer Personen und BIPoCs habe ich mich an den Bezeichnungen orientiert, die Alice Hasters in ihrem Buch „Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ verwendet und erläutert hat. Ich würde allen Lesenden dieser Rezension sehr ans Herz legen, sich noch viel öfter die Stimmen von Schwarzen Frauen und anderen FLINTA* BIPoC anzuhören und den Fokus darauf zu legen, was diese über Rassismus und Misogynie und über Bücher wie „Schwarzes Herz“ zu sagen haben. Ganz zum Schluss denn noch das Fazit: Wenn ihr die Themen, die in den Inhaltshinweisen vorkommen, verkraften könnt, dann lest unbedingt das Buch!


Für diese Rezension hat Jade S. Kye ein Sensitivity Reading in Bezug auf Rassismus-sensibler Sprache durchgeführt. Für das Feedback möchte ich sehr danken!

Das Buch:

Jasmina Kuhnke (2021): Schwarzes Herz. Hamburg: Rowohlt.

Blog Beitrag #1

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